Wir

Über uns und unsere Vision

von Andreas Doerne

 

Gemeinsam eine Musikschule der Zukunft entwerfen

Als ich im Februar 2012 einen kleinen Kreis an reforminteressierten Musizierpädagoginnen und -pädagogen aus dem südbadischen Raum zusammenrief, und wir uns ein ganzes Wochenende lang Zeit nahmen, um über die Zukunft von Musikschulen sowie des Musizierenlernens im Allgemeinen nachzudenken, ahnte weder ich noch irgendjemand von uns, was für eine ungeheure Dynamik dieser gemeinsame Austausch von Ideen und Visionen entwickeln sollte. Schon bald nach diesem äußerst inspirierenden ersten Treffen, machten sich Stefan Goeritz in Waldkirch und Tobias Meinen in Lahr daran, einige der ungewöhnlichen und teilweise beispiellosen Ideen an ihren Musikschulen in die Tat umzusetzen. So entstand nicht nur das Haus der Kultur in Waldkirch – ein weit über traditionelle musizierpädagogische Konzepte sowie Formen der Unterrichtsorganisation an Musikschulen hinausgehendes Lernzentrum fürs Musizieren –, sondern auch die Planung eines neuen Musikschulzentrums in Lahr, das bereits in seinen Architekturentwürfen daraufhin angelegt ist, neue Wege musikschulischer Praxis zu beschreiten.

 

Die Vision

Ursprung beider Projekte ist jedoch die von uns an besagtem Wochenende geborene, im Vergleich zum status quo einigermaßen "verrückt" daherkommende Vision eines neuartigen Ortes für das Musizierenlernen. Einer Musikschule, die nicht mehr bloß Unterrichtsstätte ist, sondern die sich zu einem offenen Lernhaus hin entwickelt, das man jederzeit betreten und in dem man beliebig viel Zeit zum eigenen Lernen verbringen kann. Zeit für intensive instrumentale und musikalische Bildungsprozesse, die im traditionellen Setting von wöchentlichem Einzelunterricht und häuslichem Üben sonst nicht zustande kämen. Ein institutioneller Ort, wo eine auf Kooperation und wechselseitigem Austausch gründende Lerngemeinschaft von Lehrenden und Lernenden entstehen kann, innerhalb derer sich alle Beteiligten in ihren instrumentalen Lernabsichten und musikalischen Bildungsvorhaben gegenseitig bestmöglich unterstützen.

Dieser utopische Lernort vereint alle möglichen Beschäftigungsweisen mit Musik unter einem Dach: das Singen und Spielen (Reproduktion), das Improvisieren und Komponieren (Produktion), das Hören und Erfahren (Rezeption), das Übertragen in und Verknüpfen mit anderen Kunstformen (Transposition) sowie das Verstehen und Beschreiben (Reflexion) von Musik. Er bietet Menschen die Möglichkeit, ein oder mehrere Instrumente zu lernen, gemeinsam mit anderen Menschen Musik zu machen, zu üben, zu komponieren, zu improvisieren, sich gedanklich mit Musik und musikkulturellen Phänomenen auseinanderzusetzen, Musik aufzunehmen, Popsongs oder elektronische Musik zu produzieren, zu tanzen, Videoclips zu drehen, intensiv und ungestört Musik von Tonträgern zu hören, Konzerte zu besuchen oder selber zu konzertieren. Dieser Lernort ist somit Musikschule, Überefugium, Konzerthaus, Band-Proberaum, Jazzclub, Aufnahmestudio, Bibliothek, Hörbar, Seminarort, Klanglabor, Kreativwerkstatt und sozialer Treffpunkt in einem und doch weit mehr als das. Mehr, weil nicht bloß eine Vielfalt an Lernmöglichkeiten zur Verfügung steht, sondern diese auch eingebettet sind in ein stimmiges pädagogisches Konzept, das auf individuell bedeutsame und daher nachhaltige Bildungsprozesse abzielt. Um nur einige Ziele zu nennen:

  • Sensibilisierung und Differenzierung der Sinneswahrnehmung um ihrer selbst willen (allen voran des Hörens sowie des taktilen und kinästhetischen Empfindens)
  • Hörendes Verstehen vielfältiger Musikgenres mit ihren jeweils unterschiedlichen grammatikalischen und idiomatischen Eigenheiten
  • Wechselseitiges Aufeinanderbeziehen von eigener Improvisationspraxis und dem Interpretieren vorhandener Kompositionen
  • Enges Vertrautsein sowohl mit einem Spiel nach Noten als auch nach Gehör
  • Selbstständiges Notieren improvisierter oder imaginierter Klänge bis hin zur Anfertigung eigener Kompositionen
  • Arrangieren und Transkribieren vorhandener Musik fürs eigene Instrument
  • Informelles Lernen an und mit Vorbildern
  • Ausbildung nicht nur von Sach-, sondern auch von Selbst-, Sozial- und Methodenkompetenz (Wissen, Können, soziale Intelligenz, kommunikative Gewandtheit, emotionale Resonanzfähigkeit, Ichstärke, selbstreflexive Lernexpertise, Persönlichkeit)
  • Zumutung von Freiheit und Verantwortung für das eigene Lernen
  • Selbstgesteuertes, intrinsisch motiviertes Üben
  • Herausbildung eigener ästhetischer Wertmaßstäbe
  • Förderung einer experimentierfreudigen, stets neue Anregungen suchenden Musizierhaltung
  • Aufbau und Pflege einer lebenslangen Freude an der Musik und dem eigenen Musizieren

Unsere visionäre Musikschule hilft Lernenden dabei, ihre jeweils spezifischen musikalisch-kreativen Potentiale zu entdecken, zu entwickeln und auszudrücken, sich ihrer individuellen Beziehungen zur Musik bewusst zu werden und diese im Austausch mit anderen zu vertiefen. Alle beteiligten Menschen werden deshalb ermuntert, mehr voneinander statt nebeneinanderher zu lernen. Auf Seiten der Lehrenden tragen flexible, teilweise unkonventionelle Unterrichtsformen und die ausdrückliche Aufforderung, nicht nur durch Unterrichtssequenzen, sondern genauso auch durch das eigene künstlerische Tätigsein zu lehren, zu einer hohen Identifikation mit dem Lernort und somit einer stabilen Berufszufriedenheit bei.

 

Kurz und knapp

Wir wollen einen Ort fürs Musizierenlernen schaffen, wo bestimmte verlorengegangene Traditionen wiederbelebt, andere in der heutigen Zeit anachronistisch daherkommende entsorgt und vielfältige neue Herangehensweisen an das Musizierenlernen erdacht und erprobt werden. Ein Ort, wo sich Musik- und Musizierkultur der Zukunft ereignen kann, die weder museal erstarrt noch kommerziell unterwandert ist. Ein Ort, wo Menschen in demokratischer Selbstbestimmung über ihr Lernen bestimmen können und zur Verantwortung in Bezug auf eigene Bildungsprozesse geführt werden.