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Neugierde macht den Meister

Innovative und experimentelle Konzepte populärer Musik im Unterricht

 

von Ulrich Krieger

 

 

I Einleitung

 

II Was ist populäre Musik?

II.1 Zitat

II.2 Genereller Überblick und Begriffsdefinitionen

 

III Der Status Quo in der Popularmusikausbildung

Bestandsaufnahme und generelle Kritik

 

IV Ein paar Lösungsvorschläge

IV.1 Populäre Musik im Studium

IV.2 CalArts als Beispiel

IV.3 Meine Klassen als Beispiel

 

V Zusammenfassung

 

VI Anhang

VI.1 Einige Beispiele von Avantgarde-Einflüssen in populären Musikstilen

VI.2 Einige Beispiele von Avantgarde-Einflüssen in wichtigen Alben populärer Bands

 

 

 

I Einleitung

 

Obwohl viele der wichtigsten Künstler, die in existierenden Popularmusikstudiengängen diskutiert werden, zu ihrer Zeit innovativ, stilbildend, avantgardistisch oder gar experimentell waren, unterrichten die gegenwärtigen Studiengänge nur die wenigen, einfachen Standardformen populärer Musik.

 

Statt jungen, kreativen populären Künstlern zu helfen, ihre persönliche Stimme und Stil zu finden, ihnen zu helfen in ihrem Feld künstlerische Tiefe zu erlangen, werden Imitatoren und kommerzielle Musiker ausgebildet. Es werden Kochbuchrezepte unterrichtet, die entweder schon veraltet sind, wenn sie im Klassenzimmer ankommen oder sehr allgemein und extrem formelhaft gehalten sind.

 

Entwicklungen in der Popularmusik sind extrem schnell und meist nicht vorhersehbar.

Experimente mit Klang, Technologie und Form und das Einbeziehen von Einflüssen aus diversen experimentellen Musiktraditionen sind Teil der Geschichte populärer Musik und wurden von populären Künstlern immer wieder benutzt, um voran zu gehen, Neuland zu erforschen und neue Stile zu kreieren – womit letztendlich auch neues Publikum und neue Märkte aufgetan wurden.[1]

 

Aber wie kann nun im Klassenzimmer ein Ansatz jenseits von normativen Standards unterrichtet werden? Mit einem analytischen und gleichzeitig praktischen Fokus auf experimentelle Ansätze in der populären Musik können Studenten lernen, kognitiv und spielerisch ihren Blickwinkel zu vergrößern, multiple Einflüsse aus verschiedensten Gebieten in ihre Musik einzubinden, über bestehende Stilgrenzen hinauszugehen und damit zu kreativen Erneuerern zu werden satt kopierende Imitatoren zu bleiben, die immer den aktuellsten Entwicklungen hinterherhinken.

 

 

II Was ist populäre Musik?

 

II.1 Zitat

Ich möchte mit einem Zitat der Schriftstellerin Annie Proulx (Brokeback Mountain) beginnen:

 

…dieses Geschäft, das Schreiben auf den Geschmack und Erwartungen der Leser zuzuschneiden, ist verstörend. Das Erprobte und Bekannte, das Erwartete nochmals auszuwürgen macht den Schriftsteller zu einem Produzenten eines Produktes, einem Fließbandarbeiter der Dinger ausspuckt.”[2]

 

(Annie Proulx, Eröffnungsrede zur Jahreskonferenz 2014 des amerikanischen Schriftstellerverbands AWP (Association of Writers & Writing Programs))

 

II.2 Genereller Überblick und Begriffsdefinition

Annie Proulx’ klare Aussage ist nicht nur wahr für Literaten, sondern auch für Musiker, Komponisten und Künstler jeder Art. Gerade heutzutage gibt es einen immer stärker werdenden Druck – von der Musikindustrie betrieben und verstärkt, aber auch von akademischen Institutionen nachgeplappert und unterstützt – sich den Erwartungen der Masse anzupassen und zu gefallen, d.h. kommerziell vermarktbar zu sein. Dies trifft im Besonderen auf Popularmusiker zu aber in den letzten Jahrzehnten zunehmend auch auf klassische und selbst zeitgenössisch-experimentelle Musiker. Es sollen „Kunst“-produkte(!) generiert werden, die sich einfach verkaufen lassen. Dies ist eine sehr irritierende Entwicklung und reduziert kreative Künstler jeder Richtung und jeden Stils zu Bürokraten, Statistikern und Warenverkäufern.

 

Mit diesem Ziel im Kopf – Nutzwert und Verkauf, ob bewusst oder unbewusst – wird Kunst, ob „populäre“ oder „hohe“ Kunst, zu einer Ware, die für den jeweiligen speziellen Markt geschaffen wird, anstatt ein authentisches Ausdrucksmittel einer Gesellschaft und Kommunikation des Künstlers mit seinem Publikum zu sein. Dies führt dazu, dass bekannte Formate forciert werden und immer mehr des Gleichen produziert wird – aber eine Kopie ist nie so gut wie das Original, besonders nicht in der Popularmusik. Dies geht dann so lange, bis der Markt saturiert ist, das nun mittlerweile alte Modell ausgelaugt ist, und die Industrie zum nächsten, neuen Format weitergeht.

(Ich möchte hier gar nicht auf die weiterführenden Überlegen eingehen, was dies für eine Gesellschaft und ihre Entwicklung bedeutet, die sich ihrer Kunst „entledigt“ und diese nur noch unter Warenproduktions- und Verkaufsmaßstäben versteht und wahrnimmt.)

 

Aber woher kommt nun dieses „nächste Neue“ – „the next big thing“? Es wird zumeist unbeachtet vom Mainstream in kleinen Subkulturen entwickelt, die nicht – zumindest nicht ursprünglich – auf einen Massenmarkt zielen. Diese Subkulturen kommunizieren innerhalb relativ kleiner Gemeinschaften, deren kulturelle Bedürfnisse nicht vom kommerziellen – oder traditionellen – kulturellen Mainstream repräsentiert oder befriedigt werden. In der Vergangenheit waren dies zum Beispiel die Hippiekultur und psychedelische Musik, Punk oder die ursprünglichen lokalen Hip Hop- und Technoszenen. All diese Subkulturen haben (beziehungsweise hatten) gemeinsam, dass sie unabhängig von der jeweils existierenden kommerziellen (Musik-)Industrie und unabhängig von Marktüberlegungen entstanden sind – für sich selbst, aus kleinen Szenen heraus, die zuerst vom Mainstream ignoriert wurden. Ursprünglich waren diese Musikstile und die Subkulturen drumherum – inklusive Kleidung, Lifestyle, Philosophie, Poetry, etc. – autodidaktisch, D.I.Y. [3] und dadurch innovativ, neu und experimentell. Nach und nach wurden diese authentischen, subkulturellen Bewegungen dann – nach ersten Erfolgen und ersten Mainstream-Medienberichten – von der Industrie aufgenommen, verwässert, auf ihren kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert, massenkompatibel gemacht und für ein generelles, unspezifisches Publikum zur Ware reduziert.

 

Populäre Musik ist also nicht gleich kommerzielle Musik, sondern es ist eine aktive, vitale Form moderner (urbaner) Kultur – ja, Volkskunst. Leider wird aber populäre Musik oft als kommerzielle Musik missverstanden, mit der es durch die eben beschriebene Vereinnahmung durch die Industrie zu sich fortwährend ändernden, unklaren Überlappungen kommt, oft mit labyrinthischen Verwicklungen. Für unsere nachfolgende Diskussion ist eine möglichst klare Begrifflichkeit von Nöten, daher wollen wir uns zuerst ein paar Begriffe näher ansehen.

 

Populäre Musik ist erst einmal nur Musik, die populär ist, im Volk (populus) verbreitet und beliebt ist. Früher konnten dies Volkslieder sein, die über ihre Herkunftsorte hinaus bekannt wurden, aber auch Elemente aus der klassischen Musik: So wurden einige von Mozarts Arien in den Wiener Kaffeehäusern gespielt. Das bedeutet, dass populäre Musik erst einmal nicht über den Warenwert eines Stückes definiert ist, sondern anderen, größeren sozial-gesellschaftlichen Bedingungen unterliegt. Im 20. Jahrhundert begann  populäre Musik dann für viele den Platz von Volksmusik einzunehmen: eine oral tradierte Musik ohne Notation, die durch Imitation erlernt wird; jeder kann teilnehmen und sich das bestehende Repertoire persönlich-kreativ zu eigen machen oder neues Material generieren; es gibt keine Theorie zu lernen und der Ausdruck und sogar instrumentale Techniken sind höchst individuell. Populäre Musik wird heutzutage meist immer noch autodidaktisch gelernt, auch wenn sich dies gerade stark verändert, und viel von Amateuren gespielt. Moderne populäre Musik geht zum größten Teil auf eine Mischung verschiedener, meist amerikanischer Volksmusikstile zurück: Blues, Country, Western, Jazz und Folk sind die Basis. Neue populäre Musik wird immer wieder von kleinen Gruppen dezentral auf „Grassroots“-Ebene neu entwickelt.

 

Kommerzielle Musik dagegen ist eine professionelle Ware, mit der klaren Intention produziert, sich gut im Massenmarkt zu verkaufen. Die Entwicklung kommerzieller Musik fing im 19. Jahrhundert in New York’s Tin Pan Alley an. Dort wurden – mehr oder weniger zeitgleich mit der Industrialisierung der Warenproduktion in Manufakturen – zum ersten mal Lieder in Massenproduktion geschrieben und produziert, allein mit der erklärten Intention, verkauft zu werden. Dies wurde erst ermöglicht durch den industriellen Notendruck und Massenvertrieb von Noten im 19. Jahrhundert, kurz darauf durch die neue Technologie der Reproduktion von Schall und den damit einhergehenden Tonaufnahmen im frühen 20. Jahrhundert.

 

Während kommerzielle Musik allgemein jede Form annehmen kann, die sich verkauft, ist Pop Musik eine spezielle Form kommerzieller Musik, die bewusst Lieder für den Zeitgeschmack schreibt und immer von der in der jeweiligen Zeit existierenden (populären) Hauptmusikströmung beeinflusst ist. Vor 1920 war der Hauptbezugspunkt für Pop-Lieder Volksmusik und leichte Klassik, dann in den 1920er Jahren wurde Pop überwiegend von Dixieland Jazz und kommerzieller Tanzmusik beeinflusst, um dann in den 30er und 40er Jahren meist aus Swing Big Band Arrangements und Jazz Harmoniefolgen zu bestehen. Ab Mitte der 50er Jahre verließ Pop dann den Jazzhintergrund und bediente sich hauptsächlich bei einem neuen Stil, dem Rock ’n’ Roll. Heutzutage benutzt Pop zum größten Teil Hip Hop und elektronische Tanzmusikelemente.

 

Besonders durch die modernen Tonträger und das Internet sind die Grenzen allerdings zunehmend fließender geworden und manchmal schwer auszumachen. Die kommerzielle Musik hat ständig ein Ohr am Puls der populären Musik, um neu aufkeimende Stile und Künstler auf ihr Marktpotential außerhalb der lokalen Ursprungsgruppe hin zu untersuchen. Auf der anderen Seite beeinflusst heutzutage die kommerzielle Musik auch wiederum die Popularmusik in einer Feedback-Schleife.[4]

 

 

III Der Status Quo in der Popularmusikausbildung

 

Bestandsaufnahme und generelle Kritik

Reagierend auf die große Nachfrage junger Musiker entstanden in den letzten 10 Jahren an vielen Universitäten in den USA und, wenn auch etwas zögerlicher in Europa, Popularmusikstudiengänge. Dies ist eine wichtige neue Entwicklung. Popularmusik, lange Zeit von Hochschulen vernachlässigt oder komplett ignoriert, kann und sollte unterrichtet werden und sollte die gleiche Aufmerksamkeit erhalten wie klassische Musik, experimentelle Komposition oder Jazz.

 

Allerdings unterrichten die meisten Popularmusikstudiengänge nur das Bekannte und das Erprobte, etablierte Standards und Formen, die kanonisiert worden sind. Junge Musiker werden ausgebildet zu spielen, zu singen oder zu komponieren wie Justin Bieber, Adele, Beyonce oder Bruce Springsteen. Die offizielle Rechtfertigung dafür ist, dass Studenten dann die besten Chancen für eine spätere Karriere im Musikgeschäft hätten. Aber wenn wir nur einfache, reproduzierbare Standards unterrichten, tun wir weder unseren Studenten einen Gefallen, noch der Welt der Musik im Allgemeinen.

 

Die Geschichte der populären Musik – und von Kunst im Allgemeinen – zeigt uns, dass die erfolgreichen und berühmten Künstler – jene, welche von der Geschichte erinnert werden – kreative Innovatoren waren und sind, die ursprünglichen Schöpfer und Erneuerer, und nicht die nachfolgenden Imitatoren und Trittbrettfahrer. Jeder kennt die Beatles, aber wer erinnert sich heute noch an die Monkees?

 

Das grundlegende Problem ist schon aus der klassischen Musikausbildung und aus den Jazzstudiengängen bekannt. Noch nie hatten wir so viele gutausgebildete Instrumentalisten: Jeder klassische Klavierabgänger spielt Chopin; jeder akademische Jazzsaxophonist kann problemlos Parker-Soli oder Coltranes Giant Steps spielen. Aber wo sind die neuen, heutigen, akademisch ausgebildeten Parkers oder Coltranes, die nach vorne in das unbekannte Neuland drängen, die unbefriedigt vom Status Quo intensiv nach neuen zeitgenössischen Ausdruckmitteln suchen, die von und für heute sind und nicht nur aus der Vergangenheit übernommen wurden? [5]

 

Dies gilt es in der Ausbildung von populären Musikern zu vermeiden. Es werden Musiker gebraucht, die kreieren und nicht nur imitieren. In Anhang 1 finden sich Beispiele, die belegen, dass in der populären Musik Songformen schon seit langem nur noch als „Hintergrundblaupausen“ dienen, gegen die ständig kreativ-respektlos und individuell verstoßen wird. Dort finden sich Beispiele von Stilen, die musikhistorisch sehr einflussreich und erfolgreich waren aber kaum etwas mit dem formalistischen Standard-Songwriting zu tun haben, wie es im Popularmusikunterricht in Schulen und Universitäten gelehrt wird. Diese Stile und deren ursprüngliche Künstler sind bis heute wichtig, da sie populäre Musik erneuert und neu definiert haben.

 

 

IV Einige Lösungsvorschläge

 

IV.1 Populäre Musik im Studium

Wo sind nun die akademischen Studiengänge, die die kreative, individuelle, persönlich-expressive Seite von Popularmusik betonen, die die kritischen und künstlerischen Elemente von Popularmusik hervorheben, die auf eine Erneuerung und Differenzierung von Popularmusik zielen, die voran gehen, die in die Zukunft blicken, Neuland erkunden und nicht nur den kommerziellen, industrie-verwässerten Trends hinterher hinken?

 

Was wir brauchen sind neue Unterrichtskonzepte, die es den Studenten erlauben, über ihre eigenen und vermeintlichen Genregrenzen hinauszugehen. Unterrichtskonzepte, die es den Studenten ermöglichen, neue populäre Musik zu kreieren, sodass sie keine Imitatoren alter, hohler Formen werden. Wir brauchen Initiatoren, kreative Künstler, die populäre Kunst für die Zukunft kreieren und aktiv an der Gestaltung derselben teilhaben – und damit letztendlich die Märkte für populäre Musik und unser aller Gesellschaft verändern.

 

Wir brauchen Schulen, die vorangehen, spielerisches Experimentieren unterstützen und aktiv den nächsten Frank Zappa oder John Zorn fördern, die es ermöglichen, dass die nächsten Velvet Underground oder Radiohead aus einem akademischen Hintergrund kommen. Der Markt ist bereits dabei, sich zu ändern. Und eine wachsende Zahl von Studenten äußert den Drang, über überkommene Formen hinauszugehen, ihrer eigenen Kreativität zu vertrauen und etwas Neues zu entwickeln statt alte Formeln zu kopieren. Und dies ist verständlich. Warum soll ein kreativer Künstler nur kopieren, sein wie ein anderer, satt eigenes zu entwickeln? In der Rockmusik muss selbst ein Sideman kreativ sein und oft seine eigenen Gitarren-, Baß- oder Schlagzeugparts erfinden oder zumindest arrangieren.

 

Die Standardformen der Popularmusik haben sich seit den 60er Jahren kontinuierlich aufgelöst, viele moderne Stile folgen keinen Standards mehr. Natürlich existiert das Lied noch in der Popmusik, aber die Wichtigkeit der Liedform wird immer geringer. Es ist eine unter vielen Formen, die zur Verfügung steht – inklusive neu erfundener Formen wie im Metal oder Techno. Viele der Bands und Musiker, die in existierenden Studiengängen besprochen werden, haben neue Techniken, neue Richtungen oder sogar neue Stile geschaffen, indem sie spielerisch-kreativ die existierenden Normen missachteten. Sie erweiterten damit den Gebrauch von Form, Harmonie und Technologie in der Popularmusik, was dann von anderen aufgenommen und weitergeführt wurde.

 

Im akademischen Kontext müssen wir diese Verfahrensweise und Tradition des autodidaktisch-spielerischen Experimentierens in der Popularmusik berücksichtigen. Zugleich müssen wir uns der sich ändernden Beziehung von experimenteller, populärer und kommerzieller Musik im 21. Jahrhundert gewahr werden.

 

IV.2 CalArts als Beispiel

Die Frage ist nun: Wie kann Kreativität, Neugierde und das Experiment gelehrt und gefördert und in einen Lehrplan einbezogen werden?

 

Der erste Schritt dahin ist zuzugeben, dass Experimentieren – egal ob in einer autodidaktischen, spielerischen Art oder in einer reflektierten, akademischen Forschungsform – schon immer ein essentieller Teil von Popularmusik und Motor ihrer Entwicklung war. Populäre Musik seit den 60ern ist nicht nur eine Tradition mündlicher Überlieferung, sondern auch eine von freier Aneignung, Besitzergreifung und kreativ-spielerischer Missachtung vergangener Standards und Normen.

 

Bei vielen Lehrern, die Popularmusik an Hochschulen unterrichten, scheint es schon jetzt einen Konsens zu geben, jene Fehler, die bei der Einführung von Jazzstudiengängen gemacht worden sind, zu vermeiden. Viele sprechen von akademischem Jazz als fast eigenständigem, konservativen Stil, und es gibt Meinungen, dass die Akademisierung von Jazz die Entwicklung dieser Musik negativ beeinträchtig hat. Das Hauptproblem liegt darin, dass Jazz und Popularmusik andere Methoden und Techniken der Weitergabe ihrer Tradition haben als klassische Musik. Diese Stile in der Art klassischer Musik zu unterrichten, geht gegen die Grundlagen dieser Musik und verändert sie von Grund auf.

 

Aber wie könnte es gehen? Wie könnte dieser Ansatz in eine Hochschul- und Klassenstruktur eingebettet werden. Ich unterrichte am California Institute of the Arts (CalArts), nördlich von Los Angeles, zeitgenössisch-experimentelle Komposition und Rockmusik. An den meisten Schulen wäre dies ein Widerspruch, nicht so bei CalArts. Nachfolgend möchte ich ein paar kurze Beispiele aus meiner eigenen Unterrichtstätigkeit vorstellen.

 

Zuerst möchte ich aber ganz kurz auf CalArts eingehen, da schon die Entstehungsgeschichte dieses Colleges hier als Beispiel dienen kann. Die Schule wurde in den 60er Jahren von Walt Disney gegründet. Er gründete die Schule mit der erklärten Absicht, eine Kunstschule für experimentelle Kunst zu schaffen, multimedial und künstlerisch offen. Disney war überzeugt, dass die kommerzielle Kunst das Experimentelle braucht, um zu wachsen, zu expandieren und sich weiter zu entwickeln. Er glaubte, dass experimentelle Kunst der Schlüssel für gute kommerzielle Kunst und deren nachhaltigen Erfolg ist – und damit dachte er natürlich auch an einen kontinuierlichen Dollarfluss. Der Erfolg dieses Ansatzes ist am deutlichsten im Bereich des Animationsfilm zu sehen, der von CalArts-Abgängern dominiert wird.[6] Aber auch in den professionellen amerikanischen Musikszenen finden sich überproportional viele CalArts-Abgänger.

 

CalArts hat keinen gesonderten Popularmusikstudiengang per se, obwohl viel populäre Musik unterrichtet und die Nachfrage jedes Semester größer wird. Wie geht das? CalArts ist stilistisch offen. Die meisten Programme unterrichten klassische, zeitgenössische, experimentelle und populäre Musik nebeneinander ohne stilistische Diskriminierung. Es obliegt allein dem Interesse der Studierenden in welche Richtung(en) sie gehen wollen und dementsprechend welchen Lehrer sie sich aussuchen. Jeder Student kann sich seinen Hauptfachlehrer – in Programmen, die mehr als einen Lehrer haben – jedes Semester neu aussuchen. Die Studenten werden angehalten, in ihrer Zeit an der CalArts mit verschiedenen Lehrern zu studieren, um verschiedene Ansätze mitzubekommen. Die Kompositionsstudenten, die zu mir kommen, schreiben in Stilen von Post-Serialismus, Stiller Musik, Experimenteller Musik, Neotonaler Musik bis hin zu Metal, Techno, Singer-Songwriter und Pop.

 

Da in den letzten Jahren die Nachfrage nach Popularmusik unter den Studierenden immer weiter gestiegen ist, hatte ich eine Umfrage unter den abgehenden Studenten gemacht. Ich habe Studenten mit einem Interessenschwerpunkt auf Popularmusik gefragt, ob sie nicht lieber einen designierten Popularmusikstudiengang haben möchten, der speziell auf sie zugeschnitten ist. Die Antwort war überwältigend: Alle (!) sagten nein! Sie fanden es extrem wichtig für ihre künstlerische Entwicklung, mit Kommilitonen zu studieren und zu arbeiten, die avantgardistische oder experimentelle Kunstmusik machen, frei improvisieren, neotonale Kammermusik schreiben, elektronische Musik machen oder in Jazz, Filmmusik oder World Music zuhause sind.

 

IV.3 Meine Klassen als Beispiel

Die weiterführende Diskussion, wie solch ein Ansatz praktisch in einen Unterrichtsplan implementiert werden könnte, ist zu umfangsreich um hier besprochen zu werden und nicht Thema dieses Artikels. Deshalb hier nur ein paar kurze Stichpunkte zu vier Kursen aus meiner eigenen Unterrichtsarbeit.

 

1. Geschichte

Es muss ein genereller musikhistorischer Überblick über die Entwicklungen im 20. & 21. Jahrhundert gelehrt werden. Die Hauptströmungen von Rock, Pop, Blues, Folk, Country & Western, Hip Hop, Jazz, Freie Improvisation und Kunstmusik sollten in ihren individuellen Entwicklungen diskutiert werden – zumindest in groben Zügen. Aber dazu müssen auch die gegenseitigen, konstanten Beeinflussungen untersucht werden, unter besonderer Beachtung moderner gesellschaftlicher Entwicklungen und moderner Technologien insbesondere der Reproduktion von Klang im 20. Jahrhundert.

(Vorlesung: Survey of 20th and 21st Century Music)

 

2. Theorie

Im Theorieunterricht sollen den Studierenden kreative Optionen aufgezeigt werden anstatt sie alte Formmodelle auswendig lernen zu lassen. Theoriekurse sollten Analysekurse sein. Statt den Studenten vorbereitete Normen zu präsentieren, sollten anhand von konkreten Musikbeispielen Analysen gemacht und damit die Formvielfalt in der Popularmusik betont werden – inklusive der Standard-Songmodelle.

(Seminar: Focus Rock – jährlich wechselnde Themen, z.B. Post-Punk, Metal, EDM, Noise)

 

3. Praktisches Musizieren

In Bands sollen Studenten ihr Wissen und ihre Technik in einer kreativen Atmosphäre spielerisch-experimentell ausprobieren können. Dabei sollen sowohl Coverversionen als auch Originalkompositionen der Studierenden gespielt werden. Es ist wichtig, dass die Coverversionen immer persönlich-kreativ sind und nicht nur Kopien der Originale. Wichtig hierbei ist, eine Rockband im Unterricht nicht wie ein klassisches Ensemble zu führen. Die sozialen Beziehungen und damit die Arbeitsweisen in einer Band sind grundsätzlich verschieden von denen eines klassischen Ensembles.

(Ensemble: Sonic Boom - ein elektrisch verstärktes, experimentelles Rock-Kammerorchester)

 

4. Kompositionsunterricht

Studenten der populären Musik, die durch eine akademische Ausbildung gehen, sollten alle Kompositionsunterricht bekommen. Zum einen generiert jeder Instrumentalist in der populären Musik seine Stimme selbst oder zumindest interpretiert und variiert er diese persönlich. Zum anderen schreiben die meisten populären Musiker eigenes Material, wobei sie unterstützt und wiederum animiert werden sollten, über den bestehenden Status Quo hinauszugehen. In der privaten und sicheren Atmosphäre des Einzelunterrichts kann der Student sich spielerisch ausprobieren und experimentieren. Weiterhin bedeutet dies auch eine bewusste Reflexion und Auseinandersetzung mit den persönlichen Einflüssen. Es gibt nicht die eine populäre Musik, die gelehrt werden kann, sondern es entstehen ständig neue Stile und Formen aus alten Versatzstücken mit neuen Ansätzen. Hier kann ein Kompositionslehrer extrem hilfreich sein und seine Schüler leiten.

(Einzelunterricht: Komposition)

 

 

V Zusammenfassung

 

Eine populäre Musikausbildung an den Hochschulen sollte wesentlich mehr leisten, als nur vordefinierte Standards zu lehren. Populäre Musikerziehung an den Hochschulen muss das sein, was Rock von 1960er-Psychedelic-Rock bis zu 21. Jahrhundert-Noise-Rock schon immer war: spielerisch-experimentell. Hip-hop, Techno, Drum ‚n’ Bass und Electronica fingen genau so an: experimentierend – eine Neugierde für Klang und auf der Suche nach den passenden Beats und Strukturen dazu.

 

Änderungen sind schon im Gange. Wie zeitgenössische Kunstmusik oder Post-Freejazz [7], füllt moderne populäre Musik nicht mehr nur Melodien und Texte in eine kleine Zahl von möglichen, kurzen 12-, 16- oder 32-taktigen Formschemen. Nein, es werden neue Strukturen erfunden. Metalbands benutzen eine große Anzahl verschiedener Riffs oder Riffvarianten in einer Komposition. Techno arbeitet mit Tracks, die alle eine individuelle Struktur haben. Und Drum ‚n’ Bass ist oft näher an der freien Form eines elektrischen Miles Davis als an einer Liedform.

 

Wenn wir nur fragwürdige historische Standards lehren, erfüllen wir nicht unsere Aufgabe als Lehrer im Allgemeinen und als Musik-und Kunstlehrer im Besonderen: die Köpfe unserer Studenten zu öffnen, ihnen zu helfen die größeren Zusammenhänge zu sehen und sie mit den entsprechenden Werkzeugen auszustatten, die ihnen erlauben durch dieses unkartierte Feld künstlerischen Ausdrucks zu steuern – egal was es ist oder wie wir es nennen.

 

Was wir brauchen sind neue Konzepte, die den Studenten erlauben, über bestehende Grenzen hinauszugehen und neue populäre Musik(en) zu entwickeln, deren kreative Schöpfer sie sind – und nicht Imitatoren oder Kunsthandwerker. Nur dann wird eine populäre Musik für Morgen entstehen, die uns eine „Unterhaltungsmusik“ generiert, die nicht nur technisch besser ist, sondern vor allem künstlerisch interessanter und gesellschaftlich wichtiger. Aber auch den Musikern wird dies eine fortwährende Karriere ermöglich und vermeiden, dass sie den Weg vieler Popmusiker der Vergangenheit gehen, die, nachdem ihr ursprünglicher Stil überholt war, keine Karriere mehr hatten und UPS-Fahrer geworden sind.

 

 

VI Anhänge

 

Anhang 1

Einige Beispiele von Avantgarde-Einflüssen in populären Musikstilen

Ich möchte hier nur kurz beispielhaft einige Stile ansprechen, die musikhistorisch sehr einflussreich und erfolgreich waren, aber kaum etwas mit dem formalistischen Standard-Songwriting zu tun haben, das zumeist im Popularmusikunterricht in Schulen und Universitäten gelehrt wird. Diese Stile und die ursprünglich damit assoziierten Künstler sind bis heute wichtig, da sie populäre Musik erneuert und/oder neu definiert haben.

Viele weitere Stile der Rock- und Popularmusik könnten hier angeführt und diskutiert werden: Industrial Music, Noise, Psychedelic Rock, Krautrock, Math Rock, Ambient Music, Glitch Electronica, Drum ’n’ Bass, Freak Folk, Experimental Pop, etc. Was all diese Stile vereint ist, dass sie weit von den Liedstrukturen der traditionellen Popmusik entfernt sind.

 

Prog Rock (1970)[8]

Als erstes das „Vorzeigebeispiel“, schon der Name sagt alles: Progressive Rock. Eigentlich ist jede Progressive Rock Band (ob Yes, Emerson, Lake & Palmer oder Gentle Giant) von der klassischen Kunstmusik des 20. Jahrhundert beeinflusst: egal ob frühes 20. Jahrhundert (Stravinsky, Bartok, Varese), zeitgenössisch-klassische Musik (Copeland, Britten, Orff), Avantgarde (Stockhausen, Cage, Scelsi) oder experimentelle Musik (Russolo, Pierre Henry). Progressive Rock Bands haben die Formen der Rock Musik aufgebrochen und lange, meist aus der Kunstmusik entlehnte mehrteilige Strukturen mit Brüchen und Dissonanzen eingeführt. Dies gilt umso mehr für die Unterkategorie Art Rock: Henry Cow, Frank Zappa, CAN oder Magma stehen in ihren Kompositionen der zeitgenössischen Kunstmusik oft näher als der Popmusik.

 

Dance Music: Funk (1970), Hip Hop (1980), Techno (1990)

Könnte man noch argumentieren, dass alle ursprünglichen progressiven Rock Bands aus weißen, europäischen Mittelschichtskindern bestanden, kann das über Funk und die sich daraus entwickelnden Stile nicht gesagt werden. Funk ist ein schwarzer, amerikanischer Stil, der direkt in der Traditionslinie von Blues–R ’n’ B–Soul steht. Funk gilt für viele als kommerziell und als Vorspiel zu noch kommerziellerem (weißen) Disco. Jedoch wurde hier schwarze Tanzmusik von Künstlern wie Parliament, George Clinton, und Bootsy Collins komplett neu definiert, womit diese dann auch die Grundlagen für Hip Hop und Techno legten. Eigentlich findet hier schon der Schritt von „Song“ zu „Track“ statt, wie es später im frühen Techno ausgiebig diskutiert wurde.[9] Parliaments Stücke haben so gut wie keine Ähnlichkeit mehr mit Liedstrukturen, es sind meist lange, offene Gewebe, die durch Riffs zusammengehalten werden. Es sind eher formal freie, modale „tribal gatherings“ als traditionelle Songs. Vom Funk herkommend schufen dann Hip Hop und Techno eine neue populäre Musik, deren Hauptelemente und -interessen einzig und allein Klang und rhythmische Strukturen sind – oder wie Edgar Varese es nannte: Musik ist Struktur und Klang.[10] Diese Stile weisen nach vorne, während sich zur gleichen Zeit der Kreis zum frühen Talkin’ Blues schließt, der keine festen Songstrukturen kannte.

 

Post-Punk (1980) und Extreme Metal (1980/90)

Als letzte Beispiele sollen hier kurz Post-Punk und Extreme Metal angesprochen werden, die komplett mit allen bisherigen populären Rock- und Popmusikstrukturen und Regeln brachen. Post-Punk, beeinflusst von Punk, Funk, Krautrock, Dub, Free Jazz, Musique Concrète und avantgardistischer Kunstmusik, stellte von Grund auf in Frage, wie populäre Musik komponiert, produziert und gespielt werden kann. So benutzten Sonic Youth oft mikrotonale, nicht-triadische Gitarrenstimmungen, während P.I.L., Throbbing Gristle und andere Bands Kadenzabfolgen, Akkorde und die damit assoziierten traditionellen Formen komplett aufgegeben hatten.

Das gleiche gilt für Extreme Metal (Black, Death, Doom). Diese Metalstile haben eine bis dahin ungehörte kompositorische Komplexität und spieltechnische Virtuosität in die Popularmusik gebracht. Neue waghalsige Strukturen, bewusste Vermeidung von Dreiklängen und Dur/Moll, harte Dissonanzen, neue Rollenverteilung der Instrumente, keine Melodik im Gesang, sondern erweiterte Gesangstechniken, Polymetrik und Einfluss von Neuer Musik sind nur ein paar der Elemente, die in Extreme Metal zu finden sind und die die musikalische Entwicklung in der populären Musik vorantreiben.

 

 

Anhang 2

Einige Beispiele von Avantgarde-Einflüssen in wichtigen Alben populärer Bands

Hier einige Bands und Alben aus der Geschichte der Pop- und Rockmusik, die an der Neudefinition von populärer Musik gearbeitet und deren traditionellen Strukturen und Materialen erweitert und/oder ignoriert haben. Auf diesen Alben haben Künstler mit ihrer Kreativität und neuen kompositorischen und technologischen Ansätzen eine neue Musik gestaltet, die in Folge die Landschaft der populären Musik für immer verändert hat. Dies sind nur ein paar wenige, wichtige, aber doch mehr oder minder zufällig ausgewählte Beispiele einer sehr langen Liste.

 

Beatles

Revolver (1966)

Sgt. Pepper (1967)

White Album (1968)

Einflüsse: Stockhausen, Bernhard Herrmann, Musique

Concrète, Studiotechnologie

Beeinflussten: Psychedelic Pop, Baroque Pop, Prog Rock

 

Beach Boys

Pet Sound (1966)

Einflüsse: Impressionismus, Neo-Klassik, Musique Concrète

Beeinflussten: Psychedelic Pop, Baroque Pop, Prog Rock

 

Van Dyke Parks

Song Cycle (1967)

Einflüsse: Impressionismus, Neo-Klassik, Musique Concrète

- allgemein erste Hälfte des 20. Jahrhunderts

Beeinflusste: Psychedelic Pop, Baroque Pop, Prog Rock, Shoegaze

- und allgemein Poparrangements mit klassischen Instrumenten

 

Velvet Underground

& Nico (aka The Banana Album) (1967)

White Light/White Heat (1968)

Einflüsse: LaMonte Young, Cage, Minimal, Free Jazz, Warhol

Beeinflussten: Rock, Punk, Post-Punk, Noise Rock, Grunge,

Shoegaze, Industrial

 

Jimi Hendrix

Are You Experienced (1967)

Einflüsse: Feedback und erweiterte Spieltechniken als

integrierter, essentieller Teil des Gitarrenspiels

Beeinflusste: Rock Gitarre, Jam Bands

 

Frank Zappa / Mothers of Invention

Lumpy Gravy (1967)

Absolutely Free (1967)

Einflüsse: Stravinsky, Varese, Webern, Boulez, R ’n’ B

Beeinflussten: Prog-Rock, Fusion, Math Rock, Art Rock, Metal

 

Captain Beefheart

Trout Mask Replica (1969)

Einflüsse: (früher) Blues, R ’n’ B, Free Jazz

Beeinflusste: Prog-Rock, Art Rock, Post-Blues

 

Grateful Dead

Live/Dead (Lied: Dark Star) (1969)

Infrared Roses (1991)

Einflüsse: Stockhausen, Freie Improvisation, Blues, Country

Beeinflussten: Prog-Rock, Alt-Country, Jam Bands

 

Spooky Tooth / Pierre Henry

Ceremony (1969)

Einflüsse: Musique Concrète (Pierre Henry), Blues

Beeinflussten: Prog-Rock

 

CAN

Monster Movie (1969)

Tago Mago (1971)

Einflüsse: Stockhausen, Minimal, Freie Improvisation,

Musique Concrète

Beeinflussten: Post-Punk, Jam Bands, Experimental Rock, Indie Rock

 

Tangerine Dream

Alpha Centauri (1971)

Einflüsse: Elektronische Kunstmusik, Musique Concrète

Beeinflussten: Ambient Music

 

Faust

The Faust Tapes (1973)

Einflüsse: Cage, Tony Conrad, Musique Concrète, Minimalism,

Freie Improvisation

Beeinflussten: Jam Bands, Post-Punk, Indie & Alt. Rock

 

The Residents

Meet the Residents (1974)

Einflüsse: Post-Modernismus, Musique Concrète

Beeinflussten: Post-Punk, Indie & Alt. Rock

 

Henry Cow

Unrest (1974)

Einflüsse: Kunstmusik 20.Jhd., Minimal, Freie Improvisation

Beeinflussten: Jam Bands, Post-Punk, Indie & Alt. Rock

 

Lou Reed

Metal Machine Music (1975)

Einflüsse: LaMonte Young, Xenakis, Free Jazz (Ayler, Coleman)

Beeinflusste: Art Rock, Metal, Industrial, Noise

 

Univers Zero

1313 (1977)

Einflüsse: Bartok, Stravinsky, Neue Musik, Freie Improvisation

Beeinflussten: Art Rock

 

Throbbing Gristle

The Second Annual Report (1977)

Einflüsse: Musique Concrète, Krautrock, Freie Improvisation

Beeinflussten: Industrial, Noise, Art Rock, Metal

 

Public Image Ltd.

Metal Box (1979)

Flower of Romance (1981)

Einflüsse: Neuer Musik, Musique Concrète, Krautrock, Dub

Beeinflussten: Indie Rock, Art Rock

 

Sonic Youth

Confusion is Sex (1983)

Einflüsse: Cage (Präparationen), LaMonte Young, Branca,

Chatham (Stimmungen)

Beeinflussten: Grunge, Noise Rock, Indie Rock

 

Tom Waits

Swordfishtrombone (1983)

Einflüsse: Harry Partch

Beeinflusste: Singer-Songwriter

 

John Zorn

Naked City (1990)

Einflüsse: Neue Musik, Post-Modernismus, Multistilistik

Beeinflusste: Art Rock, Indie Rock

 

Deicide

Legion (1992)

Einflüsse: Neue Musik (Polymetrik, Dissonanzen, Struktur)

Beeinflussten: Death Metal, Tech Metal

 

Earth

Earth 2: Special Low-Frequency Version (1993)

Einflüsse: Drone Music (LaMonte Young)

Beeinflussten: Drone/Avant Doom

 

Scott Walker

Tilt (1995)

Einflüsse: Neue Musik, Experimenteller Musik

Beeinflusste: Singer-Songwriter

 

Meshuggah

Chaosphere (1998)

Einflüsse: Neue Musik (Polymetrik, Dissonanzen)

Beeinflussten: Djent

 

Fantomas

Fantomas (1999)

Einflüsse: Neue Musik, Post-Modernismus, Multistilistik

Beeinflussten: Avant Metal, Art Rock

 

Radiohead

Kid A (2000)

Einflüsse: Pendrecki, Messian, Ligeti, Electronica,

Post-Punk, Krautrock, Frei Improvisation

Beeinflussten: Art Rock, Indie Rock

 

Sun O)))

Flight of the Behemoth (2002)

Einflüsse: Post-Punk, Krautrock, Freie Improvisation, Scelsi,

Drone, Neue Musik

Beeinflussten: Drone/Avant Doom, Art Rock, Indie Rock

 

Deathspell Omega

Fas – Ite, Maledicti, in Ignem Aeternum (2007)

Einflüsse: Post-Punk, Krautrock, Freie Improvisation,

Drone, Ambient, Neue Musik

Beeinflussten: Black Metal, Avant Metal

 

Julia Holter

Tragedy (2011)

Einflüsse: Reductionism, Experimentelle Musik

Beeinflussten: Experimental Pop

 

Kayne West

Yezzus (2013)

Einflüsse: Industrial, Noise, Metal Machine Music (Reed)

Beeinflussten: Hip Hop

 

Diese Liste ist bei weitem nicht vollständig und soll nur beim „Einstieg“ helfen.

Je weiter wir geschichtlich an heute herankommen, desto deutlicher werden diese Einflüsse. Es finden sich nicht nur direkte (z.B. Penderecki -> Radiohead), sondern vor allem auch immer mehr indirekte Einflüsse in der Musik vieler Bands (z.B. Neue Musik -> Krautrock -> Indie & Jam Bands).

 

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Fußnoten

 

[1] siehe Anhänge

 

[2] “…this business of tailoring your writing to reader’s taste and expectations is disturbing. To regurgitate the tried and true, the expected, makes the writer a producer of product, an assembly line worker chunking out widgets.” Annie Proulx

 

[3] D.I.Y.: Do it yourself. Mach es selbst.

 

[4] Der Radioredakteur Rainer Pöhlmann fasste den Unterschied zwischen populärer und kommerzieller Kunst einmal recht prägnant mit einer kurzen Frage zusammen: „Gibt es einen Willen zur Kunst?“

 

[5] Was früher Avantgarde war, wie zum Beispiel BeBop, ist heutzutage zu einer Lifestyle Hintergrundsware geworden. Was einmal revolutionäre und für viele „unhörbar“ war, wie zum Beispiel die Sex Pistols, wird heutzutage an öffentlichen Plätzen wie Flughäfen über das Lautsprechersystem gespielt. Das sagt viel aus über unsere kulturelle Entwicklung als Gesellschaft und unser „gesellschaftliches, kulturelles, unbewusstes Ohr“.

 

[6] zum Beispiel Pixa und Dreamworks

 

[7] z.B. Charles Mingus, Art Ensemble of Chicago, Leo Wadada Smith, Antony Braxton

 

[8] Die Jahreszahlen geben die Dekade an in welcher der jeweilige Stil entstanden ist und oft auch seine weiteste Verbreitung und größte Bedeutung hatte.

 

[9] Dabei geht es um die Verwendung von bekannten, tradierten Songstrukturen versus neu erfundenen, durchkomponierten Strukturen in Techno oder Hip Hop.

 

[10] Edgar Varese: Musik ist organisierte Klang – Klangfarbe und Rhythmus.

 

 

 

 

 

 

 

Zum Autor:

 

Ulrich Krieger ist ein deutscher Komponist und zeitgenössischer Saxophonist, der in Südkalifornien lebt. Er ist Professor für Komposition, Experimental Sound Practices und Rock am California Institute of the Arts (CalArts).

Er arbeitet in den Bereichen klassischer Musik, experimenteller Musik, Reductionism, Drone, Noise, Reine Stimmung, Improvisation und Rock und Metal.

Sein besonderes Interesse gilt dem Graubereich in dem sich Rock, experimentelle Musik, Noise, Stille, Metal, Ambient, und Kammermusik treffen.

Er kollaborierte und arbeitete mit Künstern wie Lou Reed, Lee Ranaldo, Faust, LaMonte Young, Phil Niblock, Merzbow und Christian Marclay.

 

www.ulrich-krieger.com

ukrieger@calarts.edu

 

Ulrich Krieger

Professor für Komposition und Rock

–Leiter der Kompositionsabteilung–

Herb Alpert School of Music

California Institute of the Arts (CalArts)