Diesen Beitrag teilen:
Warum nur spielen wir so wenig, wenn wir Musik machen?
von Andreas Doerne
Je länger ich mich mit dem Thema Spiel beschäftige, desto mehr wundere ich mich, warum wir Musiker beim Musizieren so wenig spielen, egal ob beim Üben, Unterrichten oder auf der Bühne. Und das, obwohl wir alle ohne einen Moment zu überlegen antworten, dass wir Klavier, Geige, Cello, Trompete oder Schlagzeug spielen, wenn jemand nach unserem Tun fragt. Je klarer mir im Laufe der letzten Jahre wurde, was Spiel ist beziehungsweise sein kann und was es entsprechend bedeutet, zu spielen, desto widersprüchlicher, ja geradezu entfremdet erscheint mir das meiste Musizieren der meisten Menschen, inklusive meines eigenen. Zum Teil spielen wir nicht nur nicht, sondern tun sogar das Gegenteil von dem, was in einem tieferen Sinn mit Spielen gemeint ist. Wir vermeiden und verhindern Spiel, während wir Musik machen!
Sicherlich: Das ist eine starke These, die plakativ wirken mag. Und es ist möglich, dass ich mit meiner (Fehl)Wahrnehmung allein stehe. Dennoch will ich diese Wahrnehmung hier ausführlicher darlegen, nicht weil ich provozieren möchte, sondern weil ich überzeugt davon bin, dass ein umfassendes Verständnis des Spiels unabdingbar für ein lebendiges Musizieren, ein inspirierendes Unterrichten und ein erfülltes Lernen ist. Wer sich als Musiker nicht mit der Frage nach dem Wesen des Spiels befasst, hat kaum eine Chance, das volle künstlerische und menschliche Potential des Musizierens zu aktivieren. Einige wenige schaffen es intuitiv, ihr Musizieren verlässlich aus dem Modus des Spielens heraus zu gestalten, die meisten scheitern jedoch an der meiner Wahrnehmung nach vorherrschenden Unkultur des Nicht-Spielens, viel mehr als an einem künstlerischen oder manuellen Unvermögen, am Mangel an sogenannter Begabung.
Spricht man unter Musikern das Thema Spiel an, stößt man gerade bei klassisch sozialisierten Gesprächspartnern häufig auf eine Mischung aus spontaner Skepsis und Gleichgültigkeit,[1] die meiner Ansicht nach weniger auf mangelndem Interesse als vielmehr auf einem Missverständnis der Sache gegenüber beruht. Offen zeigt sich dies vor allem dann, wenn die Betonung des Musizierens als eines spielerischen Geschehens vom Gegenüber als eine Herabwürdigung der Tätigkeit verstanden wird. Das in so einer Einschätzung versteckte, zuweilen erschreckend schiefe Bild vom Spiel und die daraus resultierende Skepsis gegenüber dem Thema ist – so vermute ich – eine maßgebliche Ursache jener von mir empfundenen Unkultur des Nichtspielens. Verschiedene Glaubenssätze über das Wesen des Spiels liegen diesem schiefen Bild zugrunde:
Nun hat sich die Erkenntnis darüber, dass vor allem das freie Spielen für die Entwicklung von Kindern im Säuglings- bis zum Vorschulalter von enormer Wichtigkeit ist, in den letzten Jahrzehnten immer mehr verbreitet und ist zum bildungswissenschaftlichen Allgemeingut geworden. Die Umsetzung dieses Wissens in erziehungspraktisches Handeln hinkt zwar noch etwas hinterher, ist aber in vielen Familien und Kitas unseres Kulturkreises ebenfalls auf einem guten Weg. Unter anderem natürlich auch deshalb, weil Kinder ganz allein und von sich aus immer wieder das Spiel suchen, Spiele erfinden und ihr Leben spielerisch gestalten. Sie sind schlicht und ergreifend nur schwer davon abzubringen.
Was aber geschieht in den Lebensphasen danach? Nach wie vor durchzieht ein krasser Bruch die Biografien der meisten Menschen: Mit dem Eintritt in die Schule, ab dem – wie mir selber im Alter von sechs Jahren noch wohlmeinend-drohend vorhergesagt wurde – der sogenannte Ernst des Lebens beginnt, wird das selbst gestaltete und entsprechend das Selbst gestaltende Spiel von den erwachsenen Bezugspersonen peu à peu immer weniger wertgeschätzt und entsprechend aus dem Leben der meisten Heranwachsenden langsam aber stetig ausgesondert, bis Elemente davon nur noch im Sport oder anderen Freizeitaktivitäten wie dem Spielen von Gesellschaftsspielen oder Computergames zu finden sind. Vor allem aber wird die bis dahin lebens- und überlebenswichtige Verbindung von Spielen und Lernen gekappt, sodass zwei voneinander getrennte Lebenssphären entstehen, nämlich jene des Ernstes und jene der Vergnüglichkeit, jene der Arbeit und jene der Freizeit beziehungsweise eben jene des Lernens und jene des Spielens.
Der für unser Thema wichtige Punkt jedoch ist folgender: Da der Instrumentalunterricht für die meisten Menschen im Jahr des Schuleintrittes beginnt und – bei aller zunächst möglicherweise vorhandenen spielerischen Orientierung – in erster Linie die sogenannte deliberate practise, also das systematische und zielgerichtete Üben zum Ziel hat, ist das Musizieren mit einer Art Ursünde belastet: Es wird von allen Beteiligten hauptsächlich jenem Bereich des Ernstes, der Arbeit und des vom Spiel abgetrennten Lernens zugerechnet. Und das, obwohl es doch im Kern Spiel ist![2] Wie oben bereits angedeutet, vermute ich, dass viele musizierende Menschen an diesem inneren Widerspruch scheitern beziehungsweise durch diesen Widerspruch daran gehindert werden, das ihnen zur Verfügung stehende künstlerische Potential voll zu entfalten.
Für eine lebendige Spielkultur auch im Erwachsenenalter ist aber entscheidend, mit welchem Begriff von Spiel wir operieren, was unsere bewussten oder unbewussten Grundannahmen über das Wesen des Spiels sind. Auf Grundlage vorhandener Literatur[3] über das Spiel sowie meiner eigenen, persönlichen Grundannahmen, möchte ich daher zunächst die oben genannten zerrbildhaften Annahmen über das Wesen des Spiels in Richtung eines positiven, dem Wesen des Spiels eher entsprechenden Bildes umformulieren:
–> Das Spiel ist eine von Leichtigkeit durchdrungene Tätigkeit, die paradoxerweise zu vielerlei Gehaltvollem führen kann.
–> Spielen ist kein Vorrecht von Kindern, sondern relevant für Menschen aller Altersstufen.
–> Je älter man wird, desto sorgfältiger sollte man das Spielen kultivieren und pflegen, da es schnell aus dem eigenen Leben verschwinden kann.
–> Wer noch als Erwachsener viel spielt, kann sich glücklich schätzen.
–> Im Spiel verbinden sich unbändiger Spaß und tiefe Ernsthaftigkeit zu einer paradox anmutenden Einheit.
–> Wer spielt, verschreibt sich einer Anstrengung in der Entspannung.
–> Alle Bereiche menschlicher Kultur lassen sich auf Spiel zurückführen. Und Spiel kann alle Bereiche des Lebens durchdringen, wenn wir dies zulassen.
–> Wer spielt, arbeitet hart – jedoch nicht zwingend in einem wirtschaftlich-produktiven Sinne von Arbeit, und erst recht nicht im calvinistischen Sinne einer von Mühsal und Entbehrung geprägten Pflicht.
–> Lernen ist ein integraler Bestandteil (fast) jeden Spiels, umgekehrt jedoch nicht.
–> Spiel wird pervertiert, wenn es als reines Mittel der Wissens- oder Fähigkeitsvermittlung ohne Selbstzweck inszeniert beziehungsweise als zweckgerichtete Methode zur Fremdbeeinflussung des Verhaltens anderer Menschen benutzt wird.
–> Die meisten Spiele und Spielformen basieren nicht auf dem Prinzip des Wettkampfes zwischen Menschen, produzieren entsprechend keinen Verlierer und keinen Gewinner und sind für die Spielenden trotzdem hochgradig spannend und interessant.
–> Jedes Spiel eröffnet eine Parallelwelt, in die der spielende Mensch abtaucht, dabei aber wundersamerweise meist näher bei sich selbst ist, als in der sogenannten Realität.
–> Eine spielerische Herangehensweise an die Dinge des Lebens lässt einen viele Probleme und Herausforderungen leichter und effektiver bewältigen.
Merkmale von Spiel
Genauso wie unter Anthropologen, Psychologen, Kulturwissenschaftlern und Spielforschern Einigkeit darüber besteht, dass die unterschiedlichen Formen und Ausprägungen von Spiel nicht unter dem einheitlichen Dach einer superformelgleichen Definition zusammengefasst werden können, bilden sich in der Literatur klare Merkmale von Spiel heraus, die allen Spielen und Spielformen in unterschiedlicher Ausprägung gemein sind und die ein bei aller Definitionsschwierigkeit doch recht klares Bild vom Spiel zeichnen:
Freiwilligkeit
Spiel kann nur aus einer intrinsischen Motivation heraus stattfinden.
Autotelische Handlung
Spiel kann unterschiedliche Funktionen besitzen, seinen Zweck hat es aber immer in sich selbst. Es ist von inneren und äußeren Zwängen entlastet und wird um seiner selbst willen vollzogen.
Spannung
Spiel ist in seinem Ausgang offen und erzeugt so einen Spannungskitzel: So wie Erhofftes eintreten kann, besteht immer auch das Risiko des Scheiterns.
Offenheit
Spiel ist in seinem Verlauf offen und jederzeit von den Spielenden selbst formbar. Es folgt innerhalb seiner Grenzen, seines Feldes oder seiner Regeln keinem vorbestimmten Weg, beinhaltet immer ein Element der Unvorhersehbarkeit.
Abgeschlossenheit
Spiel ereignet sich in den Grenzen eines bestimmbaren Spielfeldes, weist einen klaren Bezug der Spielhandlung zum Spielzeug/Spielmaterial auf, ist durch ein
erkennbares Ziel geleitet oder durch ein System von Spielregeln gegenüber der Welt des Nicht-Spiels abgegrenzt.
Eigene Welt
Spiel schafft einen eigenen, vom Alltag getrennten Realitätsraum, in den hinein der Spielende „abtaucht“.
Innere Unendlichkeit
Spiele haben entweder kein Ende, oder können beliebig oft wiederholt werden – sind vor allem prozess- anstatt ergebnisorientiert.
Gegenwärtigkeit
Spiel entfaltet sich am gegenwärtigen Ort im gegenwärtigen Augenblick und führt den Spielenden in eben jene Unmittelbarkeit des Hier und Jetzt.
Experiment
Spiel provoziert die Suche nach neuen, dem Spieler unbekannten Handlungsmöglichkeiten.
Kreativität
Spiel provoziert Erfinden.
Meiner Einschätzung nach ist es entscheidend, diese Merkmale nicht als unabhängig voneinander zu denken, sondern sie als systemische Einheit zu verstehen. Jedes Spiel und jede Spielsituation mag ein je eigenes Profil aufweisen, bei dem die einzelnen Merkmale qualitativ unterschiedlich ausgeprägt und quantitativ variabel gewichtet in Erscheinung treten, doch bedingen und verstärken sich die Merkmale im Zusammenwirken und machen erst durch dieses Zusammenwirkung eine Handlung zum Spiel. Man kann sich die Merkmale des Spiels wie die verschiedenen Linsen eines Zoom-Objektives vorstellen, die – fein aufeinander abgestimmt – erst im Zusammenwirken das auf Zelluloid oder Sensor aufzuzeichnende Bild kreieren und dabei durch unterschiedliche Brennweiten eine Vielzahl an visuellen Eindrücken und Perspektiven ein und desselben Motivs erzeugen.[4]
Meiner Ansicht nach sollten die hier aufgeführten Merkmale von Spiel dringend wieder mehr ins Zentrum des Musizierens rücken. Vor allem weil, wie ich glaube, die Qualität des Musizierens so in hohem Maße steigt, das Musizieren eine völlig neue Dimension von Lebendigkeit, klanglicher Plastizität und kommunikativer Mitteilungskraft bekommt, und ein deutlich höheres „Ansteckungspotential“ für die Zuhörer aufweist. Als Praxistest für Musizierende kann es jedenfalls hoch interessant sein, jedem dieser Merkmale beim eigenen Musizieren oder Üben nachzuspüren und sein Vorhanden- oder Nichtvorhandensein zu prüfen. So kann man allmählich eine Sensibilität für die Spielsättigung des eigenen Musikmachens entwickeln und für sich selbst eine eigene Musizierspielkultur aufbauen.
Formen von Spiel
Für ebenso wichtig, wie sich mit den Merkmalen von Spiel zu beschäftigen, halte ich es, die unterschiedlichen Formen von Spiel zu kennen. Wenn vom Spiel die Rede ist, fließt meiner Ansicht nach häufig zu stark eine Erwachsenenperspektive in die Diskussion ein. Begreifen Erwachsene Spiel auf enge Art und Weise größtenteils nur noch als Regelspiel – was gleichzeitig als Symptom und Verursacher einer monokulturellen Verarmung der Spielkultur angesehen werden kann –, finden sich bei Kindern noch viele andere Formen des Spiels. Entsprechend ist es überaus erhellend, sich mit der entwicklungspsychologischen Genese des Spiels zu beschäftigen und die Eigenarten der unterschiedlichen Spielformen bewusst zu machen, die jeder Mensch im Laufe seiner Kindheitsentwicklung durchmacht. Folgende Formen des Spiels werden in der entsprechenden Literatur benannt:[5]
Sensumotorisches Spiel
Merkmal: Das Kind bewegt, reckt, rekelt, schüttelt alle verfügbaren Gliedmaßen.
Funktion:
Informationsspiel / Explorationsspiel
Merkmal: Das Kind greift, bewegt, schmeißt, schüttelt Gegenstände.
Funktion:
Diese beiden erst genannten Spielformen lassen sich in identischer Form auch bei Tieren beobachten.
Konstruktionsspiel
Merkmal: Das Kleinkind baut vorhandene Gegenstände eigenständig zu etwas Neuem zusammen.
Funktion:
Symbolspiel
Merkmal: Das Kind verwandelt einen Gegenstand mit Hilfe seiner Phantasie in einen anderen Gegenstand beziehungsweise verleiht vorhandenen Gegenständen in der eigenen Vorstellung auf quasi magische Art und Weise Eigenschaften, die diese eigentlich nicht besitzen (ein Klötzchen wird zum Auto, ein Ast zum Zauberstab).
Funktion:
Rollenspiel
Merkmal: Das Kind „schlüpft“ in Rollen, andere Personen und Figuren (Schaffner, Koch, Mutter etc.), die sich zur eigenen Identität verhalten wie die Rolle eines Schauspielers zu seiner authentischen Persönlichkeit im Alltag.
Funktion:
Regelspiel
Merkmal: Jedes Regelspiel basiert auf einem mal mehr mal weniger komplexen System zusammenhängender Regeln, das alle Spieler zunächst kognitiv verstanden und soweit verinnerlicht haben müssen, sodass der Spielablauf nicht durch Regel-Unklarheiten und eine entsprechend notwendige Rekursion auf das Regelwerk gestört oder unterbrochen wird.
Arten: Brettspiele, Gesellschaftsspiele, viele Sportarten und Computerspiele
Funktion:
Interessant ist, dass die hier aufgeführten Spielformen im Laufe der Kindheit eines jeden Menschen zwar ontogenetisch aufeinander folgen, sie lösen sich aber nicht einfach ab oder ersetzen sich, sondern gehen zuweilen unmerklich ineinander über, auseinander hervor oder beinhalten sich sogar im Laufe der weiteren Entwicklung wechselseitig. Entsprechend würde ich die Entwicklungsdynamik von Spielformen eher als ein Integrieren und Transzendieren denn als ein Aussondern und Ersetzen bezeichnen. Sie gleicht eher einem Zwiebelmodell als einem Substitutionsmodell: In fortgeschrittenen Formen des Spielens sind die vorhergehenden Formen enthalten, entweder in ihrer ursprünglichen Form, in sublimierter bzw. modifizierter Ausprägung oder aber als internalisiertes Handlungsprinzip. Sie werden nicht einfach ersetzt und hinter sich gelassen: Das Funktionsspiel stellt eine Ausweitung des sensu-motorischen Spiels auf die Dingwelt dar; das Konstruktionsspiel enthält das Funktionsspiel, erweitert es aber um eine neue Dimension des Zusammenfügens/Kombinierens/Bauens; das Rollenspiel enthält als grundlegendes Prinzip das Symbolspiel, transzendiert es aber auch; und in jeweils unterschiedlicher Gewichtung kommen Aspekte aus allen Spielformen im Regelspiel vor.
Das Musizieren ist nun faszinierenderweise ein Spiel, das alle Spielformen in sich vereint, die ein Mensch im Laufe seiner Entwicklung durchmacht: Sensumotorisches Spiel, Funktions- bzw. Explorationsspiel, Konstruktionsspiel, Symbolspiel, Rollenspiel, Regelspiel. (Wolfgang Rüdiger hat jüngst in einem Buchbeitrag mit dem Titel "Spielen und Spiel als Leitidee instrumentalpädagogischen Handelns" wunderbar herausgearbeitet, in welchen Bereichen und Tätigkeiten sich die unterschiedlichen Spielformen im Musizieren genau manifestieren beziehungsweise wie man sie aktiv einbeziehen kann, um das Üben und Musizieren zu bereichern.[6] Jedem am Thema Spiel & Musizieren Interessierten empfehle ich diesen Text wärmstens!)
Spielhaltung
Das Vorhaben, sich die Vielfalt an Merkmalen und Formen des Spiels bewusst zu machen, infolgedessen Spiel intensiver zu (er)leben und so das Spiel wieder ins
Zentrum des Musikmachens zu rücken, ist als erster wichtiger Schritt die eine Sache. Etwas weitaus Schwierigeres – weil das künstlerisch-pädagogische Handeln tiefgreifend verändernde – ist es
jedoch, dieses Vorhaben im eigenen Üben, Musizieren und Unterrichten auch tatsächlich umzusetzen. Für diese Umsetzung hehrer spieltheoretischer Ideen in die Praxis helfen methodische Rezepte im
Sinne von Anleitungen zum Spiel jedoch nur bedingt weiter, da sie zwar als Inspiration dienen können, dabei aber immer die Gefahr besteht, dass lediglich eine äußere Hülle von Spiel eingeübt und
reproduziert wird, ohne Spiel wirklich zu (er)leben. Solange sich im Inneren des Spielenden nicht eine psychologisch tiefgreifende Wandlung hin zum Spiel vollzogen hat, können von ihm ausgeführte
Spielhandlungen zwar äußerlich den Anschein von Spiel vermitteln, im Endeffekt aber nicht mehr als ein schwacher Abglanz echten Spiels sein. Meiner Ansicht nach muss es daher vor allem darum
gehen, sich in eine andere Haltung zum eigenen Musizieren und Unterrichten einzuleben. Nämlich einer Haltung des SPIELS. Merkmale einer solchen Spielhaltung sind für mich:
Ich glaube, dass hierin der Knackpunkt des ganzen Musizieren-als-Spiel-Themas liegt: Es geht darum, dass Musizierende eine innere Spielhaltung gegenüber dem Musikmachen kultivieren, die aus den oben genannten Merkmalen von Spiel hervorgeht und sich der erwähnten, mannigfachen Spielformen bedient; und dass diese Spielhaltung gleichermaßen beim Üben im stillen Kämmerchen als auch beim Musizieren auf der Bühne das künstlerische Handeln des Musizierenden leitet, ohne dass jede Musiziersituation von außen betrachtet sofort explizit als Spielsituation ins Auge fällt. Entsprechend müssten wir Musizierpädagogen uns einerseits um eine genaue Beschreibung dieser Spielhaltung kümmern – sozusagen eine Phänomenologie des musizierenden Spielens entwerfen –, und uns andererseits gleichzeitig fragen, was wir inhaltlich und methodisch tun können, um zum Entstehen einer solchen Haltung bei anderen Menschen beizutragen. Darüber hinaus müssten wir uns Gedanken darüber machen, welche (Lern)Umwelten im Sinne von Musizierspielplätzen es innen- und landschaftsarchitektonisch zu konzipieren und aufzubauen gilt. Hierin sehe ich eine der wichtigsten Herausforderung für Musikschulen der Zukunft.
––––––––––––––––––––––––––––––––
Fußnoten:
[1] Vgl. Peter Röbke: Vom Handwerk zur Kunst, Mainz 2000, S. 326 ff.
[2] Wolfgang Lessing hat jüngst den Begriff des deliberate play in den musizierpädagogischen Diskurs eingebracht, der ausgiebiges und intensives Spielen über Jahre hinweg als wichtige Grundlage für Spitzenleistungen in verschiedenen Sportarten benennt, und zieht folgende interessante und weitreichende Schlussfolgerung: „Die hohe Frustrationstoleranz, die ein intensives Üben im Sinne einer deliberate practise erfordert, müsste also vorbereitet werden durch eine Phase, in der eben diese Selbstwirksamkeit immer wieder erfahren werden kann. Dies entspräche einem Musizieren im Sinne eines deliberate play, bei dem ein intensives und lustbetontes Spielen unter weitgehendem Ausblenden externer Leistungsaspekte vorherrscht […]. Wenn man Interesse nicht nur als Voraussetzung für musikalische Spitzenleistungen, sondern als Grundbedingung jeglichen Lernens begreift, dann müsste die Idee eines deliberate play eine generelle Orientierung für die Instrumentaldidaktik des Anfängerunterrichts sein.“
(Wolfgang Lessing: Motivation und Lernen, in: Barbara Busch (Hrsg.): Grundwissen Instrumentalpädagogik, Wiesbaden 2016, S. 145)
Vgl. dazu auch den informativen Artikel „Practice or play in sport: What is best for creating champions?“ auf der englischsprachigen Sportpsychologie-Website believeperform sowie Video-Lecture Nr. 38 "What is deliberate play?" des Online-Courses "The Science of Training Young Athletes" der University of Florida. (Letzter Zugriff jeweils am 16. April 2017)
[3] Vgl. u.a. Johan Huizinga: Homo Ludens – Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Reinbek 1987; Hans Scheuerl: Das Spiel, Band 1: Untersuchungen über sein Wesen, seine pädagogischen Möglichkeiten und Grenzen, Weinheim 1979; Roger Caillois: Die Spiele und die Menschen – Maske und Rausch, Stuttgart 1960
[4] Die Frage, ob einige Merkmale von Spiel konstituierend, also zwingend vorhanden sein müssen, andere entbehrlich sind, ist offen und meiner Kenntnis nach in der Literatur (noch) nicht diskutiert. Falls doch, bitte Hinweis in der Kommentarfunktion der Rubrik „Spiel“ hinterlassen.
[5] Vgl. Rolf Oerter: Spiel und kindliche Entwicklung, in: Rolf Oerter / Leo Montada (Hrsg.): Entwicklungspsychologie, 5. vollständig überarbeitete Auflage, Weinheim 2002, S. 221-234
[6] Wolfgang Rüdiger: Spielen und Spiel als Leitidee instrumentalpädagogischen Handelns, in: Barbara Busch (Hrsg.): Grundwissen Instrumentalpädagogik, Wiesbaden 2016, S. 33-48
––––––––––––––––––––––––––––––––