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Ein kritischer Blick auf die Meisterlehre
von Klara Baumann
Die traditionelle Form des Einzelunterrichts in der Musikausbildung ist nahezu prädestiniert für jene Lehrtradition, die man als Meisterlehre bezeichnen kann. An
und für sich ist gegen das Konzept, bei demjenigen etwas lernen zu wollen, der in seinen Fähigkeiten und Kompetenzen einem selbst voraus ist, nichts einzuwenden – bzw. umgekehrt gedacht, andere,
die noch weniger weit in einem Gebiet gekommen sind, bei ihrem Lernprozess zu unterstützen. Problematisch wird die Konstellation dann, wenn ein überhöhter Anspruch hinter dem Wort Meister in
Kombination mit einem degradierenden Blick auf den Schüler steht. Und zwar ist der Anspruch dann überhöht, wenn sich der Meister selbst als allwissend und unfehlbar ansieht, den Schüler im
Gegensatz dazu als generell unwissend und unfähig. Mit diesem Anspruch bestimmt der Meister alle Handlungen in Form von Forderungen, die der Schüler einzulösen hat, denn er hat für alle
gefundenen Defizite des Schülers genau die eine perfekte Lösung parat, sei es inhaltlicher Art, in Bezug auf Aneignungsstrategien oder in Bezug auf den Ablauf des gesamten Lernprozesses. Zwar
wird diese Lehrtradition heute oft hinter einer pseudo-modernen pädagogischen Oberfläche versteckt, indem klare, befehlsähnliche Handlungsanweisungen an den Schüler in Fragen umgewandelt werden,
deren Antworten sich der Schüler erarbeiten soll. Wenn es aber die eine vom Meister erdachte „richtige“ Antwort zu finden gilt, ist der Effekt – der Meister gibt den Handlungsweg oder die
musikalische Handlung selbst vor und der Schüler hat sie zu übernehmen – in der Essenz der gleiche. Innerhalb eines solchen hierarchischen Gefälles lernt der Lernende über den Rahmen guter oder
schlechter Erfüllung des Verlangten hinaus nicht Verantwortung für das eigene musikalische Handeln zu übernehmen. Er agiert weder frei noch eigenständig – im Gegenteil: Er wird zur
unreflektierten Nachahmung des Meisters erzogen und gerät damit, was seinen Lernprozess angeht, in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Meister und dessen Forderungen. Solch ein Unterrichtsverhältnis
kann einem zeitgemäßen Bildungsanspruch keinesfalls gerecht werden.