Acht Thesen und einige Ideen zur strukturellen Umwandlung von Musikschulen in Musizierlernhäuser
von Stefan Goeritz
These 1 Wir brauchen kulturelle Kreativität.
Das Prinzip der Veränderung ist in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft des Lebendigen allgegenwärtig. Dies gilt ebenso für Individuen wie für große
gesellschaftliche und wirtschaftliche Systeme. Stabilität und Überlebensfähigkeit von Mikro- und Makrosystemen sind eng mit deren Fähigkeit zu angemessenem Umgang mit Veränderungsprozessen
verknüpft.
Zweifellos leben wir gegenwärtig in einem Zeitalter beispielloser Geschwindigkeit der Veränderung. An den zahlreichen Verwirrungen und Verfehlungen im politischen
Diskurs dieser Tage an nahezu allen Orten auf dem Globus lässt sich leicht ablesen, wie stark diese Geschwindigkeit die Individuen überfordert, mit weitreichenden Folgen für die globalen
materiellen und geistigen Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens.
Zweifellos bedarf es einer riesigen kulturellen Anstrengung, diesen Prozess der existenzgefährdenden Verunsicherung und Rückwärtsgewandheit aufzuhalten und umzuwandeln in eine zuversichtlich kreative Weltsicht. Dazu bedarf es der konsequenten Anwendung eines Mittels, das Individuen schon seit jeher mit den nötigen Überlebenskompetenzen ausstattet: Das Spielen.
Dieses unbegrenzt einsetzbare ur-menschliche Werkzeug ermöglicht, stets neue Wirklichkeiten zu erschaffen, zu erproben und zu erleben. Veränderung ist das Wesen des
Spiels, und es gibt keine wirksamere Methode, Menschen auf die ("harte") Realität vorzubereiten, als zu spielen. Denn sicherlich wird Kreativität eine der wichtigsten Ressourcen der Menschheit
bleiben oder sogar noch immer stärker werden.
Und genauso zweifellos bedingt diese Einsicht auch eine kritische Hinterfragung unserer musikpädagogischen Traditionen. Die Konzentration der Instrumentalpädagogik
auf (nicht einmal interpretierende) Reproduktion ist ein Relikt aus späten romantischen Traditionen. War Musik in den vorangegangenen Epochen noch eher ein Spiel nach Regeln, die universellen
(und damit göttlichen) Ursprungs zu sein schienen, so stand in der Romantik das empfindsame Individuum im Mittelpunkt, dessen Sehnsucht nach einer anderen, besseren Welt zur schöpferischen
Triebkraft wurde. Dies hatte sehr bald zur Folge, dass der Künstler in der Rezeption nun zu einem um Schönheit und Wahrheit ringenden Titanen erhoben wurde, dessen Werk unantastbar war. Damit war
dem Missbrauch der Musik durch autoritäre Systeme Tür und Tor geöffnet, mit Folgen bis in die Gegenwart. Denn wer mit dem Wahrheitsbegriff laboriert ist stets in Versuchung, diesen mit
Machtmitteln zu definieren und durchzusetzen. Noch immer haben wir nicht gewagt, in der Musik zum zweckfreien Spiel zurückzukehren, zu sehr fühlen wir uns den (guten, wahren und schönen)
Traditionen, nicht nur der Vergangenheit, sondern auch der Moderne, verpflichtet.
Auch wenn Traditionen in bewegten Zeiten Trost und Anker sein können, sollten wir versuchen, den Begrenzungen dieser unzeitgemäßen epochalen Prägung zu entkommen. Wahrscheinlich müssen wir den Mut haben, zu akzeptieren, dass die beste Interpretation eines bestimmten Werkes eventuell schon gespielt wurde. Wir müssen den Mut haben, mit Kindern und Jugendlichen das Experiment zu wagen, miteinander neue musikalische Wege zu erschließen, zu improvisieren, zu komponieren, Musik aufzunehmen, zu produzieren, obwohl wir es vielleicht selbst nicht "gelernt" haben, obwohl die Gralshüter der musikalischen Qualität verächtlich die Nase rümpfen. Vielleicht oder wahrscheinlich ist der nächste Entwicklungsschritt der Musikpädagogik auf diesem Weg noch nicht ein Qualitätsbeitrag zur Musikgeschichte. Vielleicht wäre der nächste Schritt zunächst nur der, dass nicht mehr alle Klavierschüler/innen "Comptine d'Un Autre Été" lernen möchten, weil sie solch einfache Variationen auf Grundlage einer solch simplen Akkordfolge sowieso selbst improvisieren können. Und dann kann es ja weiter gehen...
Dieser inhaltliche, aber vielleicht auch strukturelle Paradigmenwechsel im Hinblick auf Neuanstellungen oder Materialanschaffungen an Musikschulen ist eine wesentliche Voraussetzung für die Etablierung von Musizier-Lernorten.
These 2 Wir brauchen eine permanente Reflexion des Bildungsbegriffs, um Musikschulen zu sinnvollen Bildungseinrichtungen zu machen.
Die Schätzungen darüber, wie lange es dauert, bis sich gegenwärtig das menschliche Wissen verdoppelt, variieren stark. Es werden aktuell, je nach Quelle, 73 Tage
bis maximal 5 Jahren angegeben. Das heißt, hätten wir uns (natürlich nur rein theoretisch) die Mühe gemacht, alles zu lernen, was zu lernen ist, so wäre unsere Leistung vielleicht schon nach 73
Tagen nur noch die Hälfte wert. Das muss ein Mensch erst einmal verkraften...!
Musizierlernhäuser als kulturelle Einrichtungen können eine Vorreiterrolle für selbstverantwortliches Lernen übernehmen. Zur Schaffung einer angemessenen Bildungsumgebung sind dabei folgende strukturelle Voraussetzungen zu schaffen:
These 3 Schule entwickelt sich immer mehr vom Unterrichts- zum Lebensraum. Das erfordert eine strukturelle Weiterentwicklung der
Musikschulen.
Kinder und Jugendliche verbringen heute wesentlich mehr Zeit in Schulhäusern als noch vor zehn Jahren. Das wachsende Angebot von Ganztagesangeboten sowie die
strukturelle und fachliche Ausgestaltung von Bildungsplänen führen dazu, dass der wöchentliche Gang in die Musikschule zwar möglich bleibt, wesentliche Voraussetzungen für kulturelle Bildung
jedoch nicht mehr vorhanden sind. Begriffe wie Stille, Muße, Zeit, Geduld, Hingabe verorten wir heute eher im Leben von Rentnern und Pensionären als bei den Kindern und Jugendlichen, ja selbst
bei Kleinkindern, die in den Krabbelgruppen von einer Unmenge Sinneseindrücke überflutet werden. Um in dieser vorschulischen und schulischen Umgebung Musik als sinnvolles und Sinn(e)-volles
Lebensmittel zu erhalten, brauchen wir Klang,- Spiel- und Stilleräume, wo Ton und Klang als ebenso physisch wie geistig inspirierend erlebt werden kann.
Ideal wäre natürlich, wenn jeder Kindergarten und jede Schule entsprechend ausgestattet wäre. Da dies aber nicht unbedingt flächendeckend zu erwarten ist, ist es umso wichtiger, dass zumindest Musikschulen solche Möglichkeiten bereithalten. Bei all diesen Überlegungen spielt dann die Standortfrage eine entscheidende Rolle. Die schnelle oder zumindest leichte Erreichbarkeit von Musikschuleinrichtungen im Kindergarten- und Schulalltag entscheidet letztlich über die Umsetzbarkeit des Lernhausgedankens (siehe auch Andreas Doerne: "Stammhaus, Satelit, Dependance")
Zur Motivation zum Musizieren im (Schul-)leben von Kindern und Jugendlichen gehört mit zunehmendem Alter auch, eine Community vorzufinden, in der das über einen langen Zeitraum hinweg erarbeitete Können geachtet und gewertschätzt wird, und das natürlich vorzugsweise von Gleichaltrigen. Dazu brauchen wir Foren, Plattformen, Treffpunkte jenseits des vom eigenen Lehrer besetzten Unterrichtsraumes. Ein Schulsystem, das auf dem wöchentlichen Besuch von lehrergesteuerten Unterrichtseinheiten basiert, kann diesem Anspruch nicht genügen.
Welche Auswirkungen haben nun unsere Überlegungen über Musizierlernhäuser als inspirierende Lebens- und Lernräume auf die Raum- und Angebotsstruktur von Musikschulen?
These 4 Wir müssen das Hören und die Musik konsequent ins Zentrum der Strukturentwicklung stellen.
Die Situation der Musikschulen ist aktuell von einem Paradox geprägt: Noch nie war der Wert musikalischer Bildung so unumstritten, noch nie war der Wert der Musik und des Musizierens so sehr in Frage gestellt! Hätte jemand vor vierzig Jahren auf dem Marktplatz ausgerufen: "Jedem Kind sein Instrument" oder "Jedem Kind seine Stimme," so hätte kein Passant sofort gewusst, was der tiefere Sinn solcher Slogans sein könnte. Heute arbeiten Landesregierungen und Drogeriemarktketten an der Umsetzung dieser Forderung, was aber nur scheinbar dafür spricht, dass sich unsere Gesellschaft kulturell oder kulturpolitisch weiterentwickelt hat. Denn gleichzeitig hätte sich vor vierzig Jahren niemand darüber gewundert, wenn jemand die These vertreten hätte, dass man, um in der Musik Befriedigendes erreichen zu können, jeden Tag mindestens eine bis drei Stunden am Instrument verbringen sollte. Heute wäre diese Aussage auf der Elternversammlung einer Musikschule ein großer Lacherfolg.
Konkret heißt das, dass der individuelle und öffentliche Ressourceneinsatz für Musik nicht allein von deren gesellschaftlich normativ verankerter
selbstverständlichen Wertschätzung geprägt ist, sondern vielmehr von einer oft diffus geführten Diskussion darüber, welchen Wert musikalische Bildung für das
Individuum, respektive für wiederum dessen Wert in der produktiven Gesellschaft haben könne. Argumente dieser Diskussionskultur haben sich oft ausgerechnet Musiker/innen zu eigen gemacht,
natürlich häufig der Not des existenziellen Mittelverteilungskampfes geschuldet. Aber daraus hat sich der existenzgefährdende Missstand entwickelt, dass Musik allzu oft als ziemlich
wertloses, recyclebares Abfallprodukt musikalischer Bildung behandelt wird, besonders an Musikschulen.
Das liegt unter anderem daran, dass Lehrer/innen im Schulaltag nur sehr selten als Musikerinnen und Musiker, als Künstler erlebt werden können. Da gibt es vielleicht ein Lehrerkonzert, vielleicht hängen am schwarzen Brett Plakate für Konzerte mit Beteiligung eines oder mehrerer Kolleg/innen. Vielleicht werden auch so manche Schüler beim Schülerkonzert begleitet. Manche Kolleginnen spielen oder singen eher viel, manche eher weniger während des Unterrichts. Aber: Reicht all dies aus, um zu kommunizieren, dass wir irgenwann in unserem Leben gemerkt haben, dass wir ohne Musik nicht leben wollen oder gar können?
Vielleicht ließe sich, als Gedankenspiel, auch ein Musizier(Lern-)Haus vorstellen, das sich zu einem gewissen mehr oder weniger großen Prozentsatz aus den Einnahmen aus Konzerten, Musikproduktionen, musikalischen Umrahmungen usw. finanziert. Dabei entsteht natürlich die Notwendigkeit, sich darüber Gedanken zu machen, wie man die künstlerische Wertigkeit sowie die Präsentation der im Haus entstandenen oder interpretierten Musik entwickeln kann. Vielleicht wäre dies auch eine Gelegenheit, ein weiteres musikalisches Tätigkeitsfeld für die Lerngemeinschaften zu eröffnen: Das Musik-Management.
Wahrscheinlich wird man auf diese Weise keine Unsummen generieren können. Trotzdem wären die Prioritäten und Wertvorstellungen in einem Musizierlernhaus klarer kommuniziert.
An einer "herkömmlichen" Musikschule bekommen die Familien von Neuangemeldeten etwa folgende Nachricht: Liebe/r ..., wir freuen uns sehr über deine Anmeldung zum Fach... Du wirst ab September von Herrn/ Frau... im Partnerunterricht gemeinsam mit ... unterrichtet. Der erste Unterricht findet am Dienstag, den... statt usw, usw.
In einem Musizierlernhaus könnte man dagegen vielleicht folgenden Brief bekommen.
"Liebe/r ..., wir freuen uns sehr über deine Anmeldung an unserem Haus, und möchten dich gerne einladen, bei der offenen Bühne am... mit uns gemeinsam für deine Eltern und Freunde Musik zu machen. Wenn du zur Vorbereitung unsere Hilfe brauchst, steht dir unser Team von Montag bis Freitag von 12.30 Uhr bis 20.00 Uhr zur Verfügung. Herr/ Frau ... wird sich in den nächsten Tagen mit dir zur Terminabsprache in Verbindung setzen, um dir möglichst bald alles zeigen zu können, was du bei uns machen kannst!"
Die Beispiele sind hypothetisch, lassen aber ungefähr erahnen, mit welch unterschiedlichen Haltungen und Vorstellungen Kinder und Jugendliche das Haus "zur ersten Musikstunde" betreten könnten...
Diese Idee widerspricht nicht der Forderung nach dem in These 1 propagierten zweckfreien Spiel. Wir spielen nicht, um Konzerte zu machen, natürlich darf man in einem Musizierlernhaus "nur so für sich" spielen. Vielmehr geht es um die Wertschätzung dessen, was man für sich oder z.B. im Konzert für andere aus dem Spiel heraus entwickelt. Es geht immer wieder bei vielen strukturellen Entscheidungen um die Frage: Ist Musik ein Abfallprodukt von Instrumentalunterricht oder das Zentrum unseres Spiels mit dem Spielzeug Stimme oder Musikinstrument?
These 5 Wir brauchen neue Gebührensysteme.
Die oben beschriebenen Veränderungen lassen natürlich fragen, inwieweit in herkömmlichen Gebührensystemen die funktionalen Eckpunkte von Lernhäusern abgebildet
werden können. Die Einteilung in bestimmte Unterrichtsformen (Gruppen-/ Partner-/ Einzelunterricht) kann in einem schülergesteuerten Lernsystem nicht als starre organisatorische Karosserie
funktionieren, für die das Ummeldeformular die einzige Steuerungseinheit ist. Auch ist die Frage, welche Leistungen Nutzer/innen eines Lernhauses buchen, wenn sie sich dort anmelden. In
herkömmlichen Systemen ist diese Leistung folgendermaßen definiert: Ein/e Lehrer/in verbringt zu einem festgelegten Zeitpunkt eine festgelegte Zeiteinheit mit einer festgelegten Anzahl von
Schüler/innen. Durch diese vertragliche Übereinkunft besteht eine mehr oder weniger große Wahrscheinlichkeit, dass in jener Zeiteinheit irgendwann irgendetwas passiert, was nach irgendwelchen
Kriterien als erfolgreicher Unterricht bewertet werden kann. In einem Musizierlernhaus hingegen sind Zeiteinheiten und Unterrichtsformen stets flexibel. Schüler/innen können so lange arbeiten,
bis sie mit dem Tagesergebnis zufrieden sind und können am nächsten Tag schon wieder kommen. Die Lehrer/innen sind nur anwesend, wenn sie für den nächsten Entwicklungsschritt gebraucht und auch
gefragt werden. Die Leistungen der Institution werden in Zielvereinbarungen für jedes Semester abgesprochen und am Ende ausgewertet. Dies gilt vielleicht noch nicht für alle Angebote im
Elementar- und Anfängerbereich. Aber spätestens ab dem Alter von zehn Jahren sollten Schüler/innen das Steuer sukzessive selbst übernehmen können und entsprechende Beratung dazu
bekommen.
Für jüngere Schüler/innen kann die Stabilität einer Gruppe noch wichtiger sein, doch auch hier sollte es ergänzende freie Angebote geben, im Sinne der Lerngemeinschaft vorzugsweise angeboten von älteren fortgeschrittenen Lernenden. Was sich hier aufdrängt sind Spielgruppen in gemischten Besetzungen, die regelmäßig zu festgelegten Zeiten z.B. wahlweise improvisieren oder die Musik über musikalische Spiele kennen lernen. Dies böte den Kindern interessante Möglichkeiten, einfach öfters das Haus zu besuchen und selbstständig interessante Menschen und Themen kennen zu lernen. Den betreuenden Schüler/innen entstünde die Möglichkeit zum "Jobben", ohne dies in Bäckereien und Telekommunikationsläden auch noch in Konkurrenz zu den knappen Musizier-Zeitressourcen tun zu müssen.
Wie kann nun eine Gebührenordnung aussehen, die nicht auf der klassischen Unterrichtseinteilung basiert? Dabei möchte ich zunächst vorausschicken, dass die spannende Frage der Ermittlung von Deputaten in der folgenden These behandelt werden wird.
Entwurf einer Gebühren/ Entgeltordnung für Musizierlernhäuser
Es gibt im Ganzen nur noch fünf verschiedene Tarifgruppen:
MLE= Musizieren Lernen Elementar
MLB= Musizieren Lernen Basis
ML= Musizieren Lernen
MLP= Musizieren Lernen Professionell
M= Musizieren
MLE
Entspricht in etwa der klassischen "Früherziehung," Musik und Tanz, Musikgarten usw.
Unterricht in Großgruppen ergänzt oder gar vollständig ersetzt von Spielplatzangeboten (s.o.)
Angebote aus dem Bereich MLE sollen für Kinder (wahlweise auch Senior/innen) Möglichkeiten schaffen, ihre Neugier für und ihre Freude an Klängen auszuleben,
Musikinstrumente als Spielzeug anzufassen, Rhythmus körperlich zu erleben, Bewegung und Tanz ebenso wie die eigene Stimme und Sprache als Grundlagen des Musizierens zu erproben. Die Kurszeit kann
je nach Teilnehmerzahl variieren, dauert aber maximal 60 Minuten (bei Kleinkindern eher weniger).
MLB
Erster Instrumentalunterricht, vorzugsweise aber nicht zwingend in Gruppen. Das Ziel ist hauptsächlich, Anfängern eigenständige Zugangswege zum Musizieren zu eröffnen, in Form von z.B. instrumentaltechnischen Fertigkeiten, rhythmisch/ metrischem Verständnis, Notenlesefähigkeiten. Auch der Umgang mit und die Pflege von Instrumenten, Atemtraining, Körperbewusstsein usw. können Inhalte sein, wobei ein gewisser Anteil nicht nur im klassischen Unterricht gelernt wird, sondern auch auf dem Spielplatz, in den Spielgruppen (s.o.). Ergänzend sollten im Tarif MLB auch Ensembles angeboten sein, wie Vorstufenorchester, Kinderkammerorchester, Kinderbands, in denen u.a. auch improvisiert wird. Im Tarif MLB sollte idealerweise eine Anmeldung zur Musikschule auch möglich sein, ohne sich schon für ein Hauptfach zu entscheiden. Eine Spielgruppe mit Kinderinstrumenten, die jede Woche neu gewählt werden können, wäre eine ideale Beratungsbasis, um herauszufinden, auf welche Weise die einzelnen Kinder wirklich am liebsten Musik machen (siehe These 2).
Im MLB Tarif ließen sich auch Programme wie Schul-Ags oder Bläserklassen unterbringen, eventuell finanziell unterstützt von z.B. Schulträgern oder Musikvereinen.
Auch hier gilt, dass die Unterrichtszeit je nach Gruppengröße variieren kann (maximal jedoch 60 Minuten.)
Im MLB Tarif können sich theoretisch Anfänger aller Altersgruppen anmelden. Da aber hier ein großer Teil der Lernerfahrungen in Spielgruppen stattfindet, muss der/ die Lernende selbst entscheiden, ob die erhältlichen Angebote altersgerecht sind oder ob gleich der ML-Tarif gewählt wird.
ML
Die "Flatrate" zum Musizieren-Lernen. Der ML-Tarif soll deutlich kommunizieren, dass es nicht reichen kann, einmal pro Woche 30 Minuten zum Unterricht zu kommen, wenn man ein Instrument nicht nur bedienen können möchte.
Wesentliche Bestandteile dieses Tarifs sind:
Besuch der Musikschule so oft und so lange man möchte. Vergleichbar ist das mit einem Fitness-Club, wo man unter gleichen Voraussetzungen trainieren kann. Natürlich
unter dem Vorbehalt der Verfügbarkeitsgrenze von Räumen und Instrumenten zu Stoßzeiten. Dieses Üben und Lernen wird von der gesamten Lerngemeinschaft unterstützt, sofern Lernende dies wünschen
und kommunizieren. Wichtig ist, dass es in diesem System wenig sinnvoll ist, dass ein/e Schüler/in einem Lehrer zugeordnet wird. Stattdessen sollten immer Teams von Schüler/innen zu Teams von
Lehrenden gehören. Lehrende tauschen sich darüber aus, wie die Lernenden bei der Verwirklichung von Zielen beraten und begleitet werden können. Gemeinsam werden auch Veranstaltungen konzipiert,
durchgeführt und ausgewertet. Auf diese Weise finden Lernende immer Ansprechpartner, die sie kennen, auch wenn der eigene Fachlehrer nicht im Haus ist. Auch wird verhindert, dass besonders eher
schüchterne, zurückhaltende oder wenig motivierte Schüler/innen in dieser Umgebung der Selbststeuerung und Selbstführung überfordert werden, dabei "übersehen" werden und
"untergehen."
Gruppen oder Ensembles können jederzeit zusammengestellt oder aufgelöst werden, ohne dass dies als gebührenwirksam auf An- oder Ummeldeformularen beantragt werden muss. Es gibt also nicht mehr die Unterscheidung von Einzelunterricht ("E30/ E45") und Partner/ Gruppenunterricht. Entscheidend für die Art der gewählten Lernformen sind die Ziele der Lernenden in Verbindung mit der Beratung durch Lehrende.
Wesentlicher Bestandteil dieses Tarifs ist auch eine bestimmte Anzahl von Wahlmöglichkeiten aus dem Vorlesungsverzeichnis, die Mitwirkung bei Ensembles sollte
dabei sinnvollerweise (theoretisch) unbegrenzt sein. Zweitinstrumente könnten nach dem Tarif MLB berechnet werden.
MLP
Die "große Flatrate" für alle, die wirklich viel musizieren (möchten) und eventuell einen Musikberuf anstreben. In diesem Tarif sind so viele Instrumentenfächer (oder Gesang) enthalten, wie man möchte, was zum Beispiel für eine Aufnahmeprüfung im Fach Schulmusik oder in der Musiktherapie wichtig sein kann. Außerdem ist die unbegrenzte Mitwirkung bei allen Veranstaltungen des Vorlesungsverzeichnisses beinhaltet, in dem auch studienvorbereitend Musiktheorie und Gehörbildung angeboten sein müssen. Lernende im MLP Tarif werden bevorzugt zur bezahlten Lernunterstützung, für Spielgruppen, etc angefragt, damit der finanzielle Aufwand für eine berufsvorbereitende Ausbildung leistbar bleibt.
M
Für alle, die Musiziermöglichkeiten, aber keinen Unterricht suchen. Dies können zum Beispiel auch Berufstätige sein, die am Abend gerne Klavier spielen würden, aber keines haben, Senioren etc. Musizieren in einer Gemeinschaft könnte vielen den Schritt zurück zum Instrument erleichtern, die sich aber davor scheuen, ihre Freizeit alleine zu Hause zu verbringen. Mitglieder des Tarifs M sollten idealerweiser auch (eventuell beschränkten) Zugang zu Ensembles haben, sofern passende Angebote und freie Plätze vorhanden sind. Auch dies wäre ein Beitrag zur Intergenerationalität von Lernorten und damit zu deren gesellschaftlicher Relevanz.
Dieses einfache, fünfstufige Gebührensystem hat für die Nutzerinnen große Vorteile: Es entfallen andauernde, nervige Ummeldeaktionen, von Dreier- auf Zweiergruppe, wenn ein anderes Kind abgemeldet wurde, auf Einzelunterricht, wenn z.B. das eigene Kind sehr motiviert ist, oder auf noch mehr Einzelunterricht, den z.B. ein/e Kolleg/in plötzlich für nötig hält, wenn das Deputat nicht voll ist.
Ein wichtiger Punkt soll hier noch angesprochen werden: Wer entscheidet, wann ein Kind von MLB nach ML wechseln sollte? Die Antwort ist einfach: Natürlich das Kind! Wenn es die Ziele, die dem MLB-Tarif zugeordnet sind, erreicht hat und mehr möchte, wenn der Musikspielplatz nicht mehr so interessant ist wie der Silent-Bereich, dann sollte der Tarif gewechselt werden.
In der Praxis muss sich herausstellen, ob der vorgestellte Entwurf eines Gebührensystems für alle Bereiche eines Musizierlernhauses passt. So könnten beispielsweise aus Platzgründen nicht genügend Schlagzeugübeplätze vorhanden sein, oder z.B. das Fach Gesang von den Kolleg/innen als besonders "lehrpersonenanwesenheitsintensiv" betrachtet werden. Es kann auch der Fall eintreten, dass sich manche Lernende den gewohnten wöchentlichen Einzelunterricht wünschen, wie er oben beschrieben wurde, dann müsste man entscheiden, ob ein solches Bildungsangebot noch mit auf der Gebührenliste stehen und inwieweit es mit öffentlichen Mitteln gefördert werden soll.
Manche Fragestellungen betreffen dabei eher den Umrechnungsmodus in Deputatszeiten (s.u.), manche den Zeit/ Raumplan. Bei allen Entscheidungen, die im Bereich
Gebühren getroffen werden, sollte aber immer geprüft werden, ob eine Lösung in der Praxis der Einfachheit des Gesamtsystems entspricht oder sie in Frage stellt. Auch sollte immer der Grundsatz
bestehen, dass besonders interessierte und fleißige Lernende durch Strukturen eher unterstützt als gebremst werden .
These 6 Wir brauchen selbststeuernde Organisationsformen an Musizierlernorten.
Ein von mir sehr geschätzter Kollege aus unserer Musikschule hat in einer Konferenz geäußert, dass ich mir am besten (bitte) die Kolleg/innen auch eher als Kinder vorstellen solle. Auch andere Kolleg/innen haben immer wieder geäußert, dass man eigentlich nicht so sehr daran interessiert sei, ständig Entscheidungen zu treffen, man sei ja schließlich Musiker und ich sei der Chef. Das kann man so sehen, aber welche Inspiration geben wir dann jenen Kindern, die auf nahezu jede Frage antworten: "Ist mir egal!?" Es ist undenkbar, dass Lehrende Lernenden Beispiele werden für Selbstverantwortung, Selbstorganisation und Mündigkeit, wenn sie selbst in Systemen arbeiten, die keinerlei selbstverantwortliche Entscheidungen erfordern oder gar zulassen. Lehrer/ Schülerteams können kompetent und zuverlässig weite Bereiche des Schullebens steuern, ohne dass eine eigens dazu bestimmte Schulleitung dafür bezahlt werden müsste. Dadurch würden Ressourcen frei, die umgewidmet werden könnten, sei es im Bereich der Schulsteuerung (z.B. mehr Ressourcen für Qualitätsmanagement) oder in das Kollegium und ganz andere Bereiche hinein. Diese Thematik ist sehr komplex und hängt immer mit langen und gründlichen Entwicklungsprozessen von Organisationen zusammen. An dieser Stelle kann sie aber nicht im Einzelnen abgehandelt werden. Ich möchte deshalb hier auf das Buch von Frederic Laloux "Reinventing Organisations" (Franz Vahlen Verlag, München) verweisen, einen "Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit." Darin werden zukunftsweisende Beispiele integral evolutionärer Organisationsformen beschrieben, von Großkonzernen bis Schulen.
Wichtig an dieser Stelle ist der Gedanke, dass Schule als Lebensraum bedeutet, immer wieder Verantwortung für das Ganze zu übernehmen, dies betrifft Kinder, die
entscheiden, wo sie ihr Getränk abstellen ebenso wie Erwachsene, die entscheiden müssen, ob ihre Ideen im kommunalen Haushaltskontext wirtschaftlich sinnvoll sind.
These 7 Wir brauchen fest angestellte Lehrende in Musizierlernhäusern. Deren Leistungen sollten im Tarifvertrag neu definiert werden.
Was leisten Lehrkräfte an Musikschulen laut TVöD?:
Dies ist eine ganze Menge Arbeit. Vor allem für diejenigen, die laut TVöD nicht dafür bezahlt werden. Denn wie viel jemand verdient, ist nach dieser Regelung einzig
davon abhängig, wie viele Zeiteinheiten der oder diejenige unterrichtet. Der ganze Rest sind so genannte Zusammenhangstätigkeiten. Nehmen wir z.B. ein Team aus drei Lehrer/innen, die gemeinsam
eine Musikfreizeit durchführen. Die vollbeschäftigte Pianistin, die Violinistin mit halbem Deputat und der Oboenlehrer mit einem Viertel-Deputat. Sie alle leisten während des Wochenendes die
gleiche Arbeit, erhalten aber völlig unterschiedliche Löhne. Das gleiche gilt, wenn Konferenzen oder Veranstaltungen durchgeführt werden. Denn natürlich muss der Kollege mit dem Viertel-Deputat
nicht nur an den ersten 22,5 Minuten einer 90-minütigen Sitzung teilnehmen. Dies zeigt beispielhaft, dass die gültigen TVöD-Regelungen aus einem Land vor unserer Zeit stammen. In diesem Land
galt:
Im Laufe der Zeit wurden Arbeitsverträge, geschweige denn Vollbeschäftigungen immer seltener, viele Musiker/innen arbeiten an mehreren Musikschulen unter prekären Einkommensbedingungen, die Künstlersozialkasse verhindert in Deutschland (noch?) das Abgleiten in völlig unabgesicherte Lebensverhältnisse. Natürlich wird dazu noch selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Musiker/innen zur Erledigung der Unterrichts- und Zusammenhangstätigkeiten mit ihrem eigenen Material arbeiten, ihre eigenen Instrumente zum Unterricht bringen, ihren eigenen Notenfundus haben, auf ihrem eigenen Computer arrangieren und ausdrucken usw.
Dabei bleibt die Haupttätigkeit eines Musikers außen vor, das tägliche Üben und das Musizieren. Das wird ja sowieso erwartet, dass Musiklehrer/innen in irgend einer Weise künstlerisch aktiv und daher interessant sind. Außerhalb und innerhalb der Musikschule. Nur läuft das Ganze dann nicht einmal mehr unter der Rubrik Zusammenhangstätigkeiten...!
In einigen aktuellen Tarifabschlüssen bekommen Angestellte die Wahl, ob sie mehr Lohn möchten oder mehr Urlaub. Umfragen zeigen, dass
dieses Modell ebenso effektiv wie beliebt ist. Musiklehrer/innen dagegen sind gezwungen, im Rahmen des so genannten Ferienüberhangs auf durchschnittlich zehn Prozent ihres Lohns zu verzichten, um
einen Ausgleich für die vielen Ferienzeiten zu schaffen. Das gilt auch für die Kolleg/innen, die in normalen Arbeits-Gleitzeitmodellen durch ihr großes Engagement eine stattliche Anzahl von
Überstunden angesammelt hätten, die sie in Ferienzeiten "abfeiern" könnten. Musiklehrer machen keine Überstunden, egal, was und wie viel man leistet, es sind nur
Zusammenhangstätigkeiten.
Die Unterscheidung von Kern- und Zusammenhangstätigkeiten ist generell fragwürdig für Angestellte. Man stelle sich vor, die städtischen Forstarbeiter würden pro gefälltem Baum bezahlt, alles andere wären Zusammenhangstätigkeiten. Dazu müssten sie auch ihre eigenen Sägen mitbringen. Oder Angestellten im Pass- und Meldeamt würde pro ausgestelltem Personalausweis eine Zeitpauschale bezahlt, für Reisepässe gäbe es einen Aufschlag von 30%, alles andere wären Zusammenhangstätigkeiten.
Die Beispiele zeigen, dass solche Systeme nicht die Arbeitsrealität der Beschäftigten wiederspiegeln können. Sie bewirken ein völlig unausgewogenes System der Arbeitsbelastung: Angestellte mit kleinen Deputaten werden stark benachteiligt, die Fleißigen und Engagierten, die neben der Musikfreizeit für ihre Schüler/innen regelmäßig Klassenvorspiele organisieren, sie zu Wettberben begleiten, daneben mit ihren Ensembles auftreten usw, dürfen sich ohne materielle Vorteile im Rahmen von Zusammenhangstätigkeiten so lange aufreiben, bis sie, so wie der Kollege im Nebenzimmer, auch keine Lust mehr haben. Der erzählt immer noch von den Wettbewerbserfolgen seiner Schülerin aus dem Jahr 2001. Ansonsten hat er das Gefühl, für sein Leben genug Zusammenhangstätigkeiten geleistet zu haben. Also gibt es dieses Jahr eben kein Lehrerkonzert..! Oder man überlässt die Sache mit der Unterrichtsvorbereitung den Berufsanfängern. Oder man schickt eben niemanden mehr zu den Vorspielen und Wettbewerben. Denn die Zeiten sind schlechter geworden, und, obwohl man alles versucht habe, will von den jungen Leuten heute keiner mehr so, wie wir wollen, dass sie wollen.
Dieses beschriebene Prinzip heißt "die Brennkammer". Angestellte werden verheizt bis sie nicht mehr wollen oder können, dann sind die
nächsten dran. Unterscheidet man zwischen Tätigkeit und
Zusammenhangstätigkeiten, ist die Brennkammer schon eingerichtet. Die Schulleitungen reiben sich bei dem Versuch auf, Brennstoff für die Kammer aufzutreiben, in der sie selbst
stecken. Und dann versuchen alle gemeinsam die Schüler/innen davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, diese schöne Welt für sich selbst zu entdecken...
Solche Strukturen sind auf Musizierlernhäuser nicht anwendbar. Lernhäuser sind, wie oben beschrieben, Lebensräume, dies gilt natürlich für alle Mitglieder, die lernenden wie auch die lehrenden. Sie sollen Orte sein, an denen sich lehrende und lernende Musiker künstlerisch und gesellschaftlich verwirklichen können, ohne dass Energien in einem diffusen, ungeklärten Verhältnis zwischen Dienstverpflichtung und Privatvergnügen versanden. Sie bieten genügend Raum und Material, dass alle Tätigkeiten, die für die Institution erbracht werden, dort vor Ort erledigt werden können, damit dienstlich relevant sind und vergütet werden. Grundlage ist die für Angestellte übliche 39-Stunden-Woche. Musiklehrer/innen können, wie andere Angestellte auch, Überstunden machen und diese in ruhigeren Zeiten oder in den Ferien ausgleichen. Sie können auch freiwillig, wie bisher, auf einen Teil ihres Lohns verzichten, um mehr Urlaub zu haben. Wichtig ist, dass alle Tätigkeiten von Musiker/innen für die Arbeitszeit relevant sein können. Honorar- oder Werkverträge sind in Musizierlernhäusern nicht sinnvoll, da es hier noch schwieriger wird als in "normalen" Musikschulen, die Leistungen von angestellten und "freien" Mitarbeitern voneinander abzugrenzen. Dies gilt besonders dann, wenn alle Mitglieder eines Lernhauses auch in dessen Steuerung involviert sind.
Zusammengefasst geht es also in Lernhäusern primär darum, reine Unterrichtsdeputate mit deren Zusammenhangstätigkeiten in Präsenzzeiten umzuwandeln, wie dies auch
von Andreas Doerne (hier) beschrieben wird.
Wie aber lassen sich aus dem oben beschriebenen Gebührensystem die Präsenzzeiten des Kollegiums errechnen?
Da es im Moment noch keine Referenzen gibt, schlage ich im Folgenden ein Modell vor, wie die Berechnung für eine Übergangszeit gemacht werden könnte. Zunächst
einmal möchte ich auf die Idee zurückkommen, dass bei der Schülerzuteilung Lernende des Tarifs ML stets einem Team von Lehrenden zugeordnet werden. Diese Teams sind
fächerübergreifend gemischt, es sollten von jedem Team eine ungefähr gleiche Anzahl von ML-Lernenden betreut werden. Je nach Fächerwunsch der Lernenden bekommt nun ein bestimmter Fachlehrer
zunächst ein Unterrichtsdeputat von 22,5 Minuten pro Schüler/in, eine klassische "halbe UE". Damit sind, statistisch gesehen, alle Lernenden in Zweiergruppen bei ihren Mentor/innen eingeteilt. In
meinem Unterrichtsalltag reicht diese Zeit meistens aus, um beispielsweise Lernende drei Mal in der Woche mit kleinen Tagesübeaufgaben beim Erreichen ihrer Ziele zu unterstützen. Der
Unterrichtsfortschritt einer jeden Kleineinheit lässt sich nahezu mit dem innerhalb einer "normalen" Unterrichtsstunde vergleichen: Da nur sehr wenig Zeit bis zum nächsten Mal vergeht und jede
Einheit sehr überschaubar ist, sind die "Verluste" durch wenig Übezeit oder durch Vergessen viel geringer als beim wöchentlichen Unterricht. Braucht man mehr Zeit, so bieten sich oft Lücken, die
man nutzen kann, wenn weniger los ist, Freistunden bei Krankheit von Schüler/innen oder wegen eines Kindergeburtstags gibt es nicht. Schüler bleiben, bis sie ein Tagesziel erreicht haben
oder länger, manchmal 15, manchmal 30 Minuten oder mehr. Einzelne kommen jeden Nachmittag für mehrere Stunden, arbeiten größtenteils selbstständig, verwerten aber wie "Staubsauger"
Unterrichtszeit, die andere liegen gelassen haben und/ oder helfen anderen beim Üben.
Wendet man dieses System auf aktuelle Stundenpläne an Musikschulen an, so schrumpfen zunächst manche Deputate bei den Kolleg/innen, die vorher meistens 30 oder gar 45 Minuten Einzelunterricht erteilten. Über die Verwendung der nun frei werdenden Unterrichtszeit entscheiden die Teams. Es kann also sein, dass ein Team beschließt, für einen bestimmten Schüler, der besonders große Werke spielt, mehr Unterrichtszeit zu vergeben. Diese könnte für den Mentor, aber auch für ein anderes Teammitglied zur Verfügung stehen. Der Schüler kulminiert seine Unterrichtszeit auf einen einmaligen Wochentermin, ansonsten übt er größtenteils selbstständig zu Hause oder im Haus. Auch in Lernhäusern kann es also große Einzelunterrichtseinheiten geben, nur sind diese für die Lernenden dann nicht teurer! Und sie können jederzeit wieder anders verwendet werden, denn sie wurden nicht "gebucht" und "bezahlt," weshalb ein Schüler auch keinen Anspruch darauf hat, wenn seine Ziele sich wieder verändern. Vielleicht kann die Zeit aber auch schon ganz anders genutzt werden, für Kurse und Zusatzangebote (s.u.) Bei der Verteilung der Aufgaben für die Lehrenden spielen in der Übergangsphase zunächst die Unterrichtsdeputate eine Rolle, die auf klassische Weise vertraglich festgehalten wurden. In integral evolutionären Organisationen sollte mit der Zeit eine gemeinsame Arbeitsethik ermöglichen, in gewissem Rahmen auch auf Aufgaben zu verzichten, die für die Gesamtorganisation weniger Bedeutung haben. Denn am Ende profitieren immer alle davon, Teil eines funktionierenden Systems zu sein.
Später, wenn der Umwandlungsprozess vom klassischen Stundenplan her abgeschlossen ist, beantragt jedes Team die erforderliche
Zusatzzeit in einer Gesamtlehrerkonferenz.
Kommen alle Lehrenden mit "den halben UEs" ganz gut hin, weil sie z.B. viel Erfahrung an Lernhäusern gesammelt und weniger Aufsichts- und Kontrolltendenzen haben, und weil auch die Lernenden ohne Bemutter- oder Beväterung zielgerichtet arbeiten können, so könnte auch eine Theoriestunde, eine Unplugged Band oder ein Songwriting-Wochenendkurs aus den Zeitressourcen generiert werden, Beiträge zum Vorlesungsverzeichnis, je nach den Bedürfnissen der Lernenden und den Fähigkeiten und Interessen der Lehrenden. Oder es können Wartelisten abgebaut oder Einheiten zurückgegeben und eingespart werden, jedes Team behält die ganze Schule im Blick!
Da die Teams auch Konzerte organisieren und einmal pro Semester die Lernziele der Lernenden in ihrem Team besprechen, können sie auch (fachfremd) wechselseitig als Ansprech- und Lernpartner für alle Schüler/innen eines Teams dienen. Dies ist besonders wichtig für Kolleg/innen, die nur einen oder zwei Tage in der Woche im Lernhaus verbringen.
Wie viel Grunddeputat den beteiligten Kolleg/innen im Zusammenhang mit dem MLP-Tarif zur Verfügung stehen soll, hängt letztlich auch davon ab, wie hoch die Gebühren/ Entgelte für dieses "Paket" sein sollen. Nach meiner Erfahrung wären 30 Minuten für das Hauptfach und 22,5 Minuten für Zweit- und Nebenfächer sinnvoll, denn natürlich können die betreffenden Schüler/innen schon sehr sinnvoll alleine arbeiten.
Im Tarif MLB schlage ich als Grundlage 15 Minuten pro Schüler/in vor. Das heißt, alle sind statistisch in einer Dreiergruppe. Kommen vier Kinder mit den gleichen Interessen zusammen, so können die Lehrer/innen entscheiden, ob die Gruppe reif ist für eine 60-Minuten-Einheit, ob man sich zwei Mal in der Woche 30 Minuten lang trifft oder auch nur ein Mal 45 Minuten. Werden z.B. in Bläserklassen größere Gruppen unterrichtet, so verdienen die Lehrenden entsprechend mehr. Dies stellt einen wichtigen Ausgleich für eine ungleich höhere Arbeitsbelastung dar.
Das Gleiche gilt für den Tarif MLE, wo allen Teilnehmer/innen jeweils 9 Minuten (0,2 UE) zugeordnet werden, maximal aber 1,6 UE pro Kurs. Somit haben auch Lehrer/innen aus dem Elementarbereich einen Ausgleich für die hohe Arbeitsbelastung. Zudem ist im MLE-Bereich keine Mindestteilnehmerzahl mehr erforderlich, um mit Kindern Musik machen zu können.
Lassen sich aus dem oben genannten System die Deputatszeiten errechnen, so wird diese Zahl mal 1,3 multipliziert, um die Präsenzzeiten in Zeitstunden zu errechnen. Für Kolleg/innen mit kleinen Deputaten, die an mehreren Schulen arbeiten, weit fahren müssen oder die kleine Kinder haben, sollte es möglich sein, einen Teil der Präsenzzeiten auch im "Home-Office" zu verbringen. Dies gilt besonders, solange die Ausstattung des Lernhauses noch keine vollständige Unterrichtsvorbereitung vor Ort zulässt.
Noch einmal: Dieses komplizierte Rechensystem dient dazu, Präsenzzeiten zu ermitteln in einer Übergangsphase zwischen Musikschule und Musik-Lernhaus. Diese Präsenzzeiten müssen angepasst werden, wenn Kollegen für wichtige Tätigkeiten regelmäßig Überstunden machen, anschließend wirken in einem Musizier-Lernhaus die einfachsten Systeme:
Das Haus wird genutzt von einer Lerngemeinschaft.
Die anwesenden professionellen Musiker/innen werden nach Präsenzzeiten bezahlt.
Die Lehrressourcen werden von den Teams autonom verteilt.
These 8 Wir brauchen neue Kennzahlen zur Ermittlung des Erfolgs von Musikschulen. Auswertungen und Bescheinigungen von Curricula sind dabei sowohl für die
Absolventen wie auch für Musizierlernhäuser von entscheidender Bedeutung.
Wahrscheinlich ist davon auszugehen, dass die Mitgliedschaft in einem Lernhaus, besonders in Übergangsphasen von klassischen Musikschulen zu
Musizierlernhäusern, zunächst etwas teuerer ist, als "normaler" Musikschulunterricht. Das liegt hauptsächlich an der Fülle der Angebote sowie an den höheren Gebäude- und Materialkosten. Auf
der anderen Seite effektiviert sich das Lernen und der Einsatz der Lehrressourcen um ein Vielfaches. In einem voll ausgebauten Lernhaus ist zu erwarten, dass es deutlich höhere Belegungszahlen
gibt (die meisten Lernenden wählen mehrere Angebote im Laufe ihres Curriculums), sowie auch höhere Anmelde- und
Schülerzahlen, bedingt durch die gestiegene Attraktivität der Angebote, die zudem auch Erwachsenen und anderen neu zu erschließenden Nutzergruppen zugänglich sind. Dabei wird der
Automatismus, viel Lernen bedeutet gleichzeitig viel Unterricht und damit viel Personalkosten, unterbrochen. Pro Zeiteinheit können viel mehr Lernende gleichzeitig Räumlichkeiten nutzen, die
sozialen Interaktionsmöglichkeiten sind bedeutend vielfältiger und die Musiziermöglichkeiten entsprechend ebenso.
Da sich die relevanten Tätigkeiten der Lehrenden in einem Musizierlernhaus nicht allein auf das Unterrichtsgeschehen beschränken, verlieren klassische Kennzahlen wie die Anzahl der unterrichteten Jahreswochen an Bedeutung. Ebenso wäre es ein riesiger Verwaltungsaufwand, jedes Ensemble zu benennen, das im Alltag spontan gebildet oder aufgelöst wird. Selbst die Einteilungen in Fächer und Fachbereiche sind nicht mehr in allen Stufen eindeutig zu benennen, da z.B. Mehrfachbelegungen nicht unbedingt wöchentlich unterrichtet werden.
Stattdessen wäre es sinnvoll, jedem Abgänger eine individuelle Bescheinigung über sein Curriculum zu erstellen und die Gesamtheit dieser Bescheinigungen inhaltlich
auszuwerten. Grundlage einer Bescheinigung könnte dabei z.B. ein freiwilliges Tagebuch sein, das Lernende gemeinsam mit den Teams der Lehrenden führen.
Eine Zusammenstellung der in einem Lernhaus erworbenen Kompetenzen wäre für junge Menschen in Bewerbungsverfahren natürlich von großem Nutzen, um ein persönliches Profil darstellen zu können. Umgekehrt könnten ebendiese Zeugnisse auch zuverlässig belegen, welch wertvolle Beiträge zu Kultur, Bildung und zu gesellschaftlichen Aufgaben in den Häusern geleistet wird. Eine Auswertung könnte z.B. unter folgenden Kriterien erfolgen:
Erst unter Zuhilfenahme dieser Qualitätsmerkmale lässt sich herausfinden, in welch hohem Maße sich Investitionen in Gebäude und feste Arbeitsverträge für die Träger von Musizierlernhäusern lohnen. Meine abschließende These dabei ist: Die Relation von Kosten zu gesellschaftlicher Relevanz von Musizierlernhäusern wird sich als die wichtigste Kennziffer erweisen, die für die Notwendigkeit eines Entwicklungsprozesses der Musikschulen spricht.