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Reflexion: Hörst du mich?

 

von Stefan Goeritz

 

 

Du hast es ja bereits geahnt: Ich verstehe dich nicht! Du bist so laut …Darf ich dich denn verstehen, wäre dies nicht vielleicht eine Beleidigung für dich? (Kommt darauf an, wie alt du schon bist …) Du siehst, ich streife um dich herum wie ein scheuer Tiger um einen Menschen mit einer brennenden Fackel. Oder wie ein Mensch mit Fackel um einen gefangenen Tiger.

Was habe ich hier für dich, in diesem Haus? Was kann ich dir geben? Hier lehne ich, die Arme gestützt auf meine Fensterbank und schaue aus sicherem Abstand auf dich herab … ich möchte dich fragen … hörst du mich?

 

Warum machst du ständig solchen Lärm? Das ist mir unbegreiflich, verursacht mir Wut und Ekel. Wo du hinkommst verbreitest du Chaos, aus irgendeinem Grund scheinst du zu glauben, die ganze Welt gehöre dir.

 

In meiner Welt ist Stille, muss Stille sein, sonst kann ich nicht existieren. Sobald du da bist, ist die Stille verschwunden. Deshalb habe ich (zum Schutz?) dieses Haus gebaut, denn dein Lärm zerstört meine Stille, aber nur hier ist meine Stille so stark, dass sie deinen Lärm zerstört. Neutralisiert? Auflöst? Beruhigt?

 

Was macht man eigentlich mit Lärm, damit er weggeht? Stille wird zerschnitten, durchbrochen, zerrissen. Wird Lärm durchbrochen, dann nur durch ein noch lauteres Geräusch. Man kann Lärm übertönen, dann ist er immer noch da, stärker geworden. Übertönt man die Stille, so ist sie verschwunden, wohin?

 

Das ist wie Krieg und Frieden, kaum kann man sich den Frieden laut vorstellen oder den Krieg leise. Wenn der Frieden gegangen ist, wird er lange nicht wiederkehren. Wenn die Stille gegangen ist herrscht lange Zeit das andere … außen und innen.

 

Stille ist für mich: Respekt, Demut, Kontemplation, Schönheit, Möglichkeit, Freude.

 

Musik ist für mich das liebende Spiel mit der Stille, Musik ist verwandelte Stille, Musik trägt die Stille in sich, lebt mit ihr, beleuchtet sie, trägt sie fort und bringt sie wieder, verneigt sich nach einem manchmal wilden, manchmal innigen Tanz, verneigt sich nach dem schmerzvollen Schrei, verneigt sich, vergeht, lässt die Stille (und mich) gestärkt, belebt und erfrischt zurück.

 

Meine Spielregel für dieses Haus: Stille muss möglich sein, da man sie nicht herstellen kann, muss man sie suchen und finden, dann achten und respektieren.

Sonst kann ich hier nicht sein. Sonst kann ich hier keine Musik finden.

 

Das ist ein Skandal: Ich weigere mich anzuerkennen, dass dieser Lärm normal ist. Nur weil so viele sind wie du, heißt das noch lange nicht, dass das normal ist. Du bist außer dir, wenn du unter deinesgleichen bist. Ihr Geschrei raubt dir deine Sinne, dein Geschrei ist, wird genauso Sinn-los, ist nicht Ausdruck von Lust und Kraft, nicht Ausdruck der Freude an deiner Stimme, nicht Ausdruck des Sogs deiner übermächtigen Gefühle von Angst, Wut oder Schmerz. Du rufst nicht mehr, du schreist herbei, du schreist dagegen an, du überschreist das Schreien. Werden wir zueinander finden? Ich will nicht meine Stimme erheben, schon gar nicht gegen dich …dich nicht übertönen, dich nicht dressieren, wenn du der Tiger bist, mich nicht dressieren lassen durch deine Gewalt, wenn ich der Tiger bin.

 

Werden wir ihn finden, den Schrei, der die Stille zerreißt, den Schrei mit dem du schreist, den Schrei, der aus deiner Richtung kommt und der nicht Teil des allgemeinen Schreiens ist? Kannst du dich darauf einlassen, dich auszudrücken? Oder kommst du nur her, um dem Lärmen dein eigenes hinzuzufügen? Der Lärm hat dich deiner Person beraubt und dir dafür Anonymität gegeben. Und diese ist nun der Platz, wo du dich sicher fühlst. Können wir zusammenkommen?

 

Ich weiß, du hattest Pech, dass dir schon als kleines Kind die Stille genommen wurde. Dass ständig das Radio lief. Dass immer zu laut gesprochen wurde und alle durcheinander, dass es kein Hören gab sondern nur das Andere … Und die anderen Kinder … man hat euch versucht klar zu machen, dass Stille für Kinder eine Überforderung ist. Dabei wart ihr so nah … und ihr hättet die Ruhe so gebraucht. Man hat versucht, euch von der Langeweile zu erlösen und man hat sie euch genommen, um euch dadurch abhängig zu machen von der Zerstreuung. Man hat euch ein Handy gekauft, damit ihr …. anrufen könnt???

 

Ok, du hast verstanden, es gibt ein Problem zwischen uns. Hörst du? Darf ich dich hören?