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Stammhaus, Satellit, Dependance

 

von Andreas Doerne

 

 

Beim Thema Kooperation mit allgemeinbildenden Schulen sehe ich momentan die Gefahr, dass der sich in einer rapide ansteigenden Zahl ausdrückende Trend hin zu Kooperationen zur schleichenden Auflösung von Musikschulen als eigenständigen Orten für das Musizierenlernen führt. Leider haben Musikschulen in der Vergangenheit meiner Ansicht nach zu wenig dafür getan, substanziell mehr zu sein als bloße Vermittlungsagenturen für instrumentalen Einzelunterricht von Kindern und Jugendlichen. Genau das macht sie aktuell so anfällig für diese Gefahr einer allmählichen Aushöhlung der eigenen Existenz: Denn wenn das Zielklientel ausbleibt, weil das staatliche Schulsystem durch den Ausbau des Ganztagesbetriebes plötzlich jenen Nachmittagszeitraum beansprucht, der ursprünglich den Musikschulen für ihre Arbeit zur Verfügung stand, gerät die wirtschaftliche Grundlage von Musikschulen in Gefahr. Zudem wird von allgemeinbildenden Schulen selten ein eigenständiges musizierpädagogisches Profil nachgefragt, sondern in erster Linie just diese Dienstleistungskompetenz, wenn sie für die Nachmittagsbetreuung eines leider meist inkonsequent umgesetzten Ganztagesbetriebs mit nicht rhythmisiertem Tagesablauf Kooperationspartner suchen, die möglichst unkompliziert (also stundengenau) buchbar sind, die pünktlich ins Haus kommen und dort störungsfrei ihre Arbeit verrichten, ohne dem Auftraggeber zusätzlich Scherereien zu machen.

 

Wenn man als Musikschule den Schulen in Kooperationen nicht auf Augenhöhe begegnen kann, weil man selber als Bildungsinstitution kein Standing als profilierter, eigenständiger Ort hat, wird man bestenfalls zum Juniorpartner degradiert, schlimmstenfalls zu einem beliebig ersetzbaren Dienstleistungsunternehmen. Eine solche „Zusammenarbeit“ wäre allerdings keine Kooperation, sondern nur ein als Kooperation getarntes einseitiges Abhängigkeitsverhältnis von Auftraggeber und Auftragnehmer. Den Job der Musikschullehrerinnen und -lehrer innerhalb einer solch asymmetrischen Kooperation könnten genauso gut private Instrumentallehrerinnen und -lehrer übernehmen, oder Musikvereine, oder projektbezogen arbeitende musikalische Bildungsinitiativen, oder privatwirtschaftlich agierende große Musikinstrumentenunternehmen, oder global organisierte finanzstarke IT-Firmen wie Apple, Google, Facebook & Co …

 

Die aktuell zu beobachtende regelrechte Flucht von Musikschulen in Schulkooperationen halte ich daher nicht für eine die Institution bewahrende Rettungsstrategie, sondern für eine existenzbedrohende Sackgasse ohne Wendemöglichkeit. Musikschulen müssen dringend weiterhin für sich beanspruchen, profilierte eigenständige Orte für das Musizierenlernen zu sein. Nur sollten sie diesem Anspruch in Zukunft auch tatsächlich gerecht werden: Ich glaube, es ist keine billige Zuspitzung zu sagen, dass Musikschulen in punkto inhaltlicher und örtlicher Profilierung zeitnah substanziell liefern müssen, wollen sie überleben.

 

Darüberhinaus besteht vor allem im Grundschulbereich die Gefahr, dass der im Fächerkanon obligatorisch verankerte, in der schulischen Kernzeit gegebene, von allen Schülerinnen und Schülern verbindlich zu besuchende Unterricht im Fach Musik ersetzt wird durch fakultativen und zudem kostenpflichtigen Instrumentalunterricht von Musikschullehrern während der Betreuungszeit am Nachmittag. Kooperationen von Schulen und Musikschulen können dazu führen, dass das Fach Musik abgeschafft wird! Um kein Missverständnis zu erzeugen: Ich halte es nicht für schlecht, Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen stärker als Musizierunterricht zu verstehen (für den eben Musikschullehrende Experten sind). Ich halte es nur für bedenklich, wenn das Fach Musik – durch diesen Prozess legitimiert – obsolet erscheint und musikalische Aktivitäten vollends in den Nachmittags- bzw. Betreuungsbereich abgeschoben werden. Denn im Idealfall würde es an allgemeinbildenden Schulen beides geben: Musikunterricht mit seinem Ziel der weitgefassten Heranführung an das Kulturgut Musik, und Musizierunterricht mit seinem Ziel des selbsttätig-ganzheitlichen Sich-Ausdrückens über Töne und Klänge.

 

Ein erster gedanklicher Baustein auf dem Weg hin zu sinnvollen Kooperationsformen kann sein, Musikschule künftig in drei Kategorien zu denken: Stammhaus, Satellit, Dependance.

 

 

 

 

Stammhaus

Das Stammhaus ist die Homebase einer Musikschule, ihre gebäudegeronnene Identität. Es ist ein eigenes Haus, in dem so kompromisslos wie möglich jene künstlerisch-bildungsbezogenen Aktivitäten stattfinden, für die die Musikschule inhaltlich und programmatisch steht. Im Stammhaus steht das volle Lernangebot zur Verfügung, und es ist offen für alle, die es für ihre musizierbezogene Bildung nutzen möchten. Als einzige der drei Formen ist das Stammhaus unentbehrlich. Eine Musikschule ohne Stammhaus wäre wie ein Staat ohne Hauptstadt, eine Stadt ohne Rathaus, ein Musikfestival ohne Bühne oder eine Zeitung ohne Redaktionsraum. Im Stammhaus kommt eine Musikschule zu sich selbst (sofern man einer Institution solche Züge von Subjektivität zuschreiben kann). Präziser formuliert: Nur im Stammhaus können die Musikschulmitglieder in ihrem Handeln als Teilhabende einer Lehr-/Lerngemeinschaft vollständig bei sich sein, weil das Stammhaus genau daraufhin angelegt ist, dieses Zu-sich-selbst-Kommen im Lehren und Lernen bestmöglich zu unterstützen. Ein Stammhaus ist daher mehr als bloß die Summe von Räumen, es ist die Verkörperung eines Ortes, der liebevoll eingerichtet und inhaltlich bewusst gestaltet ist.

 

Satellit

Mit Satellit bezeichne ich Außenstellen einer Musikschule in Gestalt eigener Räume, die nahe an einer Schule liegen. Bestenfalls befindet sich eine solche Außenstelle auf dem Gelände eines Schulcampus aus mehreren Schulen. Obwohl diese Satelliten vor allem in Hinblick auf eine schnelle Erreichbarkeit von Schülern der umliegenden Schule(n) eingerichtet werden, sind sie trotzdem offen für in der Nähe wohnende Menschen aller Altersgruppen, die sich dem Musizieren widmen möchten. Satelliten sind bürgernahe Stadtteilzentren fürs Musizierenlernen und als solche ebenfalls dem Grundsatz verpflichtet, nicht bloß (Unterrichts)Räume zu bieten, sondern (Lern)Orte zu sein. Ihre einzige Einschränkung besteht darin, dass sie aufgrund ihrer Größe nicht jenes vollumfängliche Lernangebot bieten können, das das Stammhaus zur Verfügung stellt. Trotzdem haben Satelliten den Anspruch, eine Art Musikschulstammhaus en miniature zu sein.

 

Dependance

Eine Dependance schließlich besteht aus einem oder mehreren eigenen Räumen der Musikschule innerhalb einer Schule. Es ist ein autonomer, sichtbar abgetrennter Bereich, der nur für den Zweck des Musizierenlernens eingerichtet ist und auch nur dafür verwendet wird. Handelt es sich um Multifunktionsräume, die im Laufe des Tages auch zum Unterricht in anderen Fächern genutzt werden und nur für bestimmte Zeiten an die Musikschule „vermietet“ sind, kann man nicht mehr von einer Dependance sprechen. Als räumlich und organisatorisch integraler Bestandteil der gastgebenden Schule ist eine Musikschuldependance ausschließlich für die Schülerinnen und Schüler dieser Schule offen. Das Lernangebot ist entsprechend der geringeren logistischen Möglichkeiten ebenfalls reduziert. Trotzdem gelten die Primate „Ort statt bloßer Raum“ und „Stammhaus en miniature“ genauso auch für die Dependancen.

Ein interessanter Sonderfall wäre es, wenn eine Dependance sich hin zu einem Satelliten entwickelt, die Schule also innerhalb des Schulgebäudes einen Musizierlernraum auch für beispielsweise die Eltern der Kinder und im nahen Umfeld wohnende Bürgerinnen und Bürger öffnet.