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Das Haus des Musizierens

oder: Warum musizieren wir?

 

von Stefan Goeritz

 

 

Warum eigentlich nicht … Stell dir vor …

 

es würden durch ein ungeheuerliches Wurmloch im Universum auf einen Schlag alle Musikinstrumente dieser Welt einfach verschwinden, die Musikinstrumente-Industrie wäre im Sog der Ereignisse implodiert. Gesetzt den Fall, mit einem Wiederanfahren der Produktion wäre frühestens in 5 Jahren zu rechnen.

 

Wie sähe unsere westliche Welt während dieser fünf Jahre aus?

 

Orchestermitglieder säßen in den Philharmonien und Opernhäusern und redeten miteinander.

Katholische und evangelische Kirchen glichen orthodoxen oder islamischen Gotteshäusern. Muslimische Fundamentalisten staunten ungläubig über die Macht ihrer Gebete.

Die Aktien einiger weniger Versicherungen rutschten vorläufig in den Keller.

In einigen Wohnzimmern wäre Platz für eine neue Couch.

Musikschüler wunderten sich über das Gewicht ihrer Taschen und Instrumentenkoffer beim Gang in die Musikschule.

Musiklehrer und Musikschulleiter hielten Konferenzen ab oder schrieben Memoiren.

Chöre hätten Hochkonjunktur, A-Capella-Formationen einen tieferen Sinn.

 

Und wie würde unsere westliche Welt dann klingen?

 

Immer noch genauso auf den Straßen (aber ohne Straßenmusikanten), genauso in den Kaufhäusern und Läden, wo immer noch die gleiche Musik aus der Konserve liefe und wo wir einen großen Teil unserer Zeit verbringen, genauso in den Wäldern. Genauso unter Wasser, genauso am Strand. Genauso in den meisten Kneipen und Discos und China-Restaurants.

Es wäre Ruhe in der Wohnung nebenan. In den anderen liefe weiter der Fernseher.

 

Nur abends oder am Wochenende, versteckt und vereinzelt, hörten wir das Gemurmel all jener Musiker, die in den Jazz- Kur- und Opernhäusern Gedichte rezitieren oder Lieder singen würden. Das wäre anders und sehr schade.

Eigentlich würde ich sie gerne kennen lernen, all jene, die unruhig mit den Händen auf Tische trommeln, die ihr Geschirr beklopfen, Kisten sammeln, die jeden Preis bezahlen würden für die erste Gitarre, die wieder auf den Markt kommt. Jene, die Rohre aus Baumärkten herbeitrügen und Holz. Die Saiten aus Gummis herstellen oder aus Därmen. Kurz: Die nicht warten könnten, nicht eine Minute länger, auf das Ereignis eines gespielten Tons, weil sie sonst andere Menschen würden oder gar keine mehr.

 

Sie würde ich gerne einladen teilzunehmen, teilzuhaben am Haus des Musizierens.

 

Und die eigentlich Gleichgültigen, all jene, die einmal angefangen haben und nicht mehr aufgehört mit - was? Ja genau, nennen wir es Musik, es hätte auch Fechten oder Fußball oder Religion oder Briefmarkensammeln sein können. Deren Leben mit einem oder mehreren Instrumenten verknüpft wurden und die dann nicht mehr richtig losgekommen sind und die jetzt mit traurigen Augen dasitzen, weil ihre Klarinette nicht mehr im Etui liegt, gestorben wie die Nachbarin im Erdgeschoss, nach so vielen Jahren. Man hat sich ja gut verstanden. Aber man hat sich kaum gekannt. Wollte doch noch einmal Kaffee trinken oder ins Theater gehen.

 

Ich würde sie einladen in mein Haus, die Trauernden.

 

Oder:

Stell dir vor, ein ungeheuerlicher Computervirus zerstörte sämtliche Musikdateien auf der Erde. Wie wunderbar wäre der nächste Besuch im Kaufhaus und im China-Restaurant. YouTube wäre eine Pantomime- und Akrobatikplattform, i-Tunes ein Register nostalgischer Phantasien und Erinnerungen. Vereinzelt hörte man knisternde Vinyl-Platten. Und es gäbe Menschen, deren Sehnsucht nach Musik so groß wäre, dass sie ein Instrument spielen oder spielen lernen wollten, müssten:

 

Herzlich willkommen im Haus des Musizierens.

 

Dann säßen wir hier, wir beide. Oder drei oder vier, Tausend, Millionen? Vielleicht wärst du hier aber auch ganz alleine, ich weiß nicht genau. Mein Bedürfnis ist mitunter zur Sehnsucht verkümmert, aber immerhin, das zählt doch auch, oder? War es jemals mehr? Aber es ist unser Haus und du kannst gerne hier bleiben und üben, während ich im Foyer und draußen mit den anderen Tischtennis, Tischkicker oder Fußball spiele. Vielleicht.

 

Vielleicht säßen wir gemeinsam hier und es kämen Neugierige, zumeist Kinder, hoffe ich. Sie würden kommen und gehen, manche blieben länger. Manche kämen öfters und gingen später. Sie wären erst Gäste und dann ein Teil dieses Hauses:

 

Willkommen im Haus des Musizierens!