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Live-Elektronik

 

von Andreas Doerne

 

 

Für Instrumentalisten mit verstärkten Instrumenten ist eine live auf der Bühne getätigte Veränderung des Klangs mittels elektronischer und digitaler Effekte seit jeher gang und gäbe. Heutzutage nutzen jedoch auch immer mehr Musikerinnen mit akustischen Instrumenten Live-Elektronik als soundtechnisches sowie künstlerisches Mittel. Beheimatet ist diese Praxis hauptsächlich in popularmusikalischen Genres oder zeitgenössischer Kunstmusik, aber auch klassische Musiker nähern sich diesem spannenden Feld mehr und mehr an.

 

(Beispiele: Tristano, Jacob Collier/ Imogen Heap …)

 

 

Live-Elektronik kann zwei unterschiedlichen Zwecken dienen: Zum einen wird sie verwendet als bühnenpraktisches Äquivalent zur tontechnischen Formung des Klangbildes bei der Arbeit im Tonstudio, indem Equalizer, Kompressoren und Halleffekte dem Originalsignal zugemischt werden. Zum anderen dient sie Musikern als Kreativwerkzeug, das nicht nur verändert, wie man klingt, sondern auch wie man spielt. Überschreiten die durch Effekte hervorgerufenen Veränderungen des eigenen Klanges eine gewisse Schwelle, wird Live-Elektronik gar zu einer Art virtuellem Interaktionspartner, der dann nicht nur beeinflusst wie man spielt, sondern auch was man spielt.

 

(Superspannendes „Gegenbeispiel“: Eddie van Halen hat seine eigene Gitarrentechnik entwickelt, weil er sich keine teuren Effekt-Pedale leisten konnte, aber deren Soundveränderung haben wollte. Also begann er zu experimentieren, wie man Liveelektronik-Effekte ganz ohne Effekte allein mit der Art und Weise des eigenen Spiels simulieren konnte. BEISPIEL: Interview 2016 What It Means To Be American …)

 

Ein gutes Beispiel für einen fließenden Übergang dieser beiden Anwendungszwecke ist der eng mit dem Hall verwandte Delay-Effekt. Delays erzeugen Echos der in den Effekt hineingespielten Klänge. Diese Echos kann der Musiker in Bezug auf ihren zeitlichen Abstand zum Originalsignal sowie auf die Häufigkeit ihrer Wiederholung einstellen. Wie Halleffekte auch, erzeugen Delays den Eindruck von Räumlichkeit und akustischer Weite, je nachdem auf welche Länge die Delaytime gesetzt wird: Kurze Delayzeiten von 5-200 Millisekunden simulieren einen leeren, gekachelten Raum vergleichbar einem Badezimmer, längere Delayzeiten erzeugen ab einem bestimmten Wert ein Echo, wie man es von Wanderungen im Hochgebirge her kennt, bei der ein ins Tal hineingerufenes „Hallo“ erst Sekunden später zurückschallt. Dient ein kurz eingestelltes Delay eher der Veränderung der Klangcharakteristik, regt eine lange Delayzeit schon eine neue Art des Musizierens an, nämlich das Spiel mit dem eigenen Echo, so als wäre ein zweiter Musiker anwesend. Mit diesem virtuellen Mitmusiker kann man regelrecht in einen musikalischen Dialog treten, indem man das Echo mit einem Mixturintervall doppelt oder ein Call-Response-Spiel beginnt.

 

Und genau nach diesem Prinzip, nämlich dem interaktiven Spielen mit eben erst selbst hervorgebrachten Klängen, funktioniert ein Looping-Effektgerät, der sogenannte Looper. Er ist aktuell das wahrscheinlich meistgenutzte Live-Elektronik-Tool, weil seine Funktion und Bedienung so simpel ist und man doch komplexe eigene Klangwelten mit ihm kreieren kann. Ein Looper ist dazu da, aus einem vom Spieler mittels Fußschalter bestimmten zeitlichen Ausschnitt seines Spiels eine Endlosschleife (engl. loop) zu generieren und diese so oft wiederholt wiederzugeben, bis der Spieler sie mittels desselben Fußschalters wieder ausschaltet. Jeder Loop kann dabei durch beliebig viele weitere Einspielungen ergänzt werden, sodass eine polyphone Klangschichtung aus Audiospuren unterschiedlichen Inhalts entsteht.

So ermöglicht der Looper einer einzelnen Musikerin, ein ganzes Ensemble beziehungsweise eine komplette Band zu ersetzten, indem sie alle Stimmen live selbst einspielt.

 

(BEISPIEL Gesang…)

 

Auch bietet sich ein Looper als geduldiger Übepartner an, der beispielsweise eine Begleitung so oft wiederholt, wie man selber es braucht, um eine darüberliegende Stimme sauber und frei hinzu spielen zu können. Indem man häufig mit einem Looper arbeitet, lernt man darüber hinaus eine Menge übers Arrangieren und Komponieren. Denn ein Looper lädt zum Ausprobieren von Stimmdopplungen, Kontrapunkten und übereinander geschichteten Patterns ein wie kaum ein anderes musikalisches „Spielzeug“. Sein starker spielbezogener Aufforderungscharakter führt häufig zu spontanen Ad-hoc-Arrangements oder Mini-Kompositionen, die – wie auf einer Kreidetafel – so schnell wieder gelöscht sind, wie sie erstellt wurden. Andererseits kann alles, was in einen Looper eingespielt wurde, auch gespeichert und archiviert werden, sodass für die Spielerin ein zunächst wertlos scheinender erster kompositorischer Gehversuch nach wiederholtem Anhören unter Umständen einen Eigenwert bekommt und sie motiviert, am nächsten Tag an eben diesem Material weiterzuarbeiten und in Zukunft öfter solche musikalischen Miniaturen „einfach nur mal so“ zu produzieren.

Ich persönlich glaube, dass das spielerische Üben mit Loopern ein ungeheures Potenzial für die Entwicklung instrumentaler Fertigkeiten, musikbezogener Kreativität und einer allgemeinen Spielhaltung besitzt, dessen sich die meisten Musizierlehrenden noch gar nicht bewusst sind. Ich halte es sogar für nicht ausgeschlossen, dass der Gebrauch von Loopern sich zu einer zentralen Übeform der Zukunft entwickeln wird.

 

(BEISPIEL)

 

Ein ähnliches Potenzial besitzen alle anderen Formen und Geräte von Live-Elektronik. Speziell fürs Musizierenlernen erforscht und erprobt sind die wenigsten.