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Grußwort zur Eröffnung des Georg-Scholz-Haus der Kultur in Waldkirch

 

von Andreas Doerne

 

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

 

oft passiert es leider nicht, dass ich in meiner Funktion als Professor für Musikpädagogik zu einer Gelegenheit und an einem Ort sprechen darf, von dem ich glaube, dass er die Welt verändern wird. Heute ist so eine seltene Gelegenheit und das Georg-Scholz-Haus ist ein solcher, seltener Ort.

 

Dass das Haus-der-Kultur-Projekt der Musikschule Waldkirch und des Georg-Scholz-Haus-Kunstforums die Welt des Musizierenlernens verändern wird, glaube ich, weil es als eines der ersten Projekte dieser Art im deutschsprachigen Raum einen Paradigmenwechsel vorwegnimmt, der sich in anderen Bereichen der Pädagogik am Horizont abzuzeichnen beginnt. Es ist der Paradigmenwechsel weg von der Fokussierung aufs Lehren hin zum Lernen – und dem damit verknüpften Wandel der Institution Musikschule weg von einer reinen Unterrichtsstätte hin zum Lernhaus. Dieser Paradigmenwechsel beinhaltet ebenfalls den Abschied von einer langgehegten Illusion, nämlich der des „Lehren erzeugt Lernen“. In geringem Maße kann Lehren zwar Auslöser fürs Lernen sein, dies geschieht aber – wie wir alle aus leidvoller Erinnerung an unsere Schulzeit wissen – keineswegs automatisch und niemals umfassend.

 

Was tatsächlich Lernen erzeugt ist etwas anderes, ist das eigene Interesse an etwas, ist eine nicht von außen auferlegte, sondern aus mir selbst herauskommende Motivation, ist Begeisterung und Inspiration, ist autonomes selbstgesteuertes Üben, ist der Austausch mit anderen Menschen die ähnliche Ziele verfolgen wie ich, ist die Möglichkeit, in unmittelbarer Nähe von Meistern zu sein und sie aufmerksam beobachten zu können – und es ist eine Schule, die mir ein verschwenderisches Maß an Raum und Zeit für diese Dinge gewährt.

 

Für ein solcherart verstandenes Lernen haben wir im Deutschen ein wunderbares Wort: Bildung. Leider ist dieses Wort gegenwärtig so überstrapaziert, dass es zur leeren Worthülse verkommen ist. Jeder Banause darf es im Munde führen und für eigene, meist politische Zwecke missbrauchen, auch wenn diese mit der eigentlichen Bedeutung von Bildung kaum mehr etwas zu tun haben, ihr mitunter sogar entgegengesetzt sind.

 

Das ist schade, denn im Kern beinhaltet Bildung eine radikale Forderung, nämlich die nach einer kompromisslosen Orientierung am jeweils individuellen Menschen.

 

Und ebenso sind die Merkmale von Bildung – so man sie in ihrer Konsequenz für die schulische Praxis wirklich ernst nimmt – im besten Sinne radikal. Denn:

  • Bildungsprozesse kennzeichnen sich dadurch, dass bei ihnen der ganze Mensch beteiligt ist; Johann Heinrich Pestalozzi würde sagen „mit Kopf, Herz und Hand“.
  • Bildung erfolgt aus eigenem Antrieb, sie kann nicht verordnet oder mittels pädagogischer Motivationstricks quasi untergeschoben werden. Bildung braucht daher die Freiheit des einzelnen Menschen und fördert ihrerseits wiederum die Freiheit des Sich-Bildenden.
  • Bildung kann – anders als reines Faktenwissen – nicht von einer Person auf eine andere Person übertragen werden, sondern jeder Mensch muss Bildungsinhalte für sich neu „konstruieren“.
  • Bildung braucht daher weniger Belehrung, dafür aber viel Raum für eigenes Ausprobieren und selbstständiges Denken.
  • Bildungsprozesse haben ihre eigene Zeit und benötigen ihren eigenen Raum – man kann sie nicht ins zeitliche Korsett einer Unterrichtsstunde oder ins räumliche Korsett eines Unterrichtsraumes zwängen.
  • Bildung hat dann stattgefunden, wenn der sich bildende Mensch die Sache, mit der er sich beschäftigt, so zu eigen gemacht hat, dass sie zu einem untrennbaren Teil seiner Person geworden ist. Durch Bildung verändern sich Menschen, entwickeln sich, wachsen.

Um den gedanklichen Kreis zu schließen: Die Musikschule Waldkirch ist eine von wenigen Musikschulen deutschlandweit, die sich dieser Radikalität des Bildungsbegriffes bewusst ist, die ihn ernst nimmt und ihre Schule folgerichtig zu einem Haus für umfassende musikalische Bildung umbaut. Das ist eine mutige Pionierleistung! Stefan Goeritz und sein Team sind dabei, etwas zu schaffen, das weit über die Grenzen der Stadt hinaus ausstrahlen und als Modell für andere Musikschulen dienen kann. Darüber hinaus können allgemeinbildende Schulen wichtige Impulse dahingehend erhalten, sich zu kommunalen Bildungscampussen mit schulübergreifenden sowie intergenerationellen Lernangeboten zusammenzuschließen. Und was könnte man sich im Zentrum eines solchen Bildungscampus Schöneres vorstellen, als ein offenes „Haus der Kultur“?

 

Ich wünsche euch allen Beteiligten an diesem Projekt weiterhin soviel Kreativität, Mut und Durchhaltevermögen, wie ihr bisher gezeigt habt! Die musizierpädagogische Abteilung der Freiburger Musikhochschule jedenfalls wird dieses Projekt mit Freude begleiten und euch alle erdenkliche Unterstützung geben.

 

Herzlichen Dank.