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Lehrer sollten mehr durch eigenes künstlerisches Tätigsein lehren

 

von Andreas Doerne

 

 

Bevor eine Musikerin im Alter von etwa 25 Jahren Lehrerin an einer Musikschule wird, hat sie sich in über 20-jähriger intensiver Ausbildung künstlerische Fertigkeiten angeeignet und ein Selbstbild entworfen, das im Kern darauf beruht, ein künstlerisch tätiger Mensch zu sein. Und obwohl beim Unterrichten diese künstlerische Kompetenz eine wichtige Rolle spielt und obwohl man als Lehrerin beim Unterrichten auch viel über das eigene Musizieren lernen kann, bleibt das eigene künstlerische Suchen, die eigene künstlerische Entwicklung im Wesentlichen aus dem Unterrichtsalltag ausgeklammert. Unter diesem Spagat zwischen pädagogischer und künstlerischer Tätigkeit leiden viele musizierpädagogisch Tätige.

 

Wie also könnte die eigene künstlerische Kompetenz der Lehrerinnen und Lehrer stärker für die Vermittlung des Musizierens fruchtbar gemacht werden? Wie kann man auch das Üben, Lernen und künstlerische Suchen der Lehrerinnen ins Haus einer Musikschule holen und es als Teil einer weiter gefassten Lehrtätigkeit verstehen?

 

In meinen Vorstellungen von einer neuen Musikschule ist diese ein Ort, der auch den Lehrerinnen und Lehrern Raum für die eigene künstlerische Weiterentwicklung gibt, der sie nicht reduziert auf ihre Funktion als Vermittler. Zu diesem Zweck schlage ich folgende Maßnahmen vor:

  • Das Deputat an Unterrichtsstunden der Lehrenden wird umgewandelt in Präsenzzeit. Lehrerinnen und Lehrer werden also nicht für gegebene Unterrichtsstunden entlohnt, sondern für ihre Anwesenheitszeit in der Musikschule. Während ihrer Arbeitszeit sollen die Lehrenden nicht nur lehren, sondern können auch für sich üben oder andere Dinge tun, die sie als förderlich fürs eigene Künstlersein sowie die Lehr-/Lernkultur im Musizierlernhaus erachten.
  • Im Unterschied zu einem "normalen" Musiker, wird das Lernen, Üben und individuelle künstlerische Suchen der Lehrenden in der Musikschule jedoch auf gewisse Art und Weise öffentlich gemacht, indem es nicht im abgeschlossenen stillen Kämmerchen stattfindet. So dient es den Anderen als Modell, an dem man sich orientieren und von dem man sich inspirieren lassen kann.
  • Eine weitere wichtige Aufgabe für Lehrerinnen ist es, vielfältige kleinere und größere musikalische Projekte zu initiieren, die ein Lernen an und in echten künstlerischen Ernstfällen ermöglichen (bei der also künstlerische gegenüber pädagogischen Intentionen überwiegen) und die instrumenten- und altersübergreifende Gruppen von Schülern und Lehrern temporär zusammenbringen. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten:
  • Lehrerinnen kommen mit ihren eigenen Ensembles oder künstlerischen Projekten zum Proben in die Musikschule und bringen so externe Musikerinnen und Musiker mit, die sonst nicht vorbeikommen würden. Dies gewährleistet eine Permeabilität zur Außenwelt, ohne die jede Bildungsinstitution irgendwann verkümmert.
  • Es entstehen Projekte von Lehrern untereinander, die für Schüler als aktive Teilnehmer bewusst nicht offen sind, bei denen Schüler aber gleichwohl passiv als Beobachter teilhaben können.
  • Lehrer initiieren gemeinsame Projekte von Schülerinnen und Lehrern, die somit leistungsheterogen besetzt sind und bei denen verschiedene Lernstufen entsprechend ihrer jeweiligen Fähigkeiten ins Projekt integriert werden.
  • Schüler entwickeln eigene Ideen für Projekte und führen diese weitgehend selbstständig durch. Eine Lehrerin kann dabei als Coach fungieren, wenn dies von den Schülern gewünscht wird.
  • Durch das Gebot Lehrer als Künstler wird die klassische Meisterlehre in ihren positiven Aspekten rehabilitiert: Man kann beim Meister „wohnen“, mit ihm leben, ihn bei seinem alltäglichen künstlerischen Tun begleiten und je nach Bedarf eine Aufgabe gestellt bekommen, an der man sich selbstständig abarbeitet, dabei jedoch immer vom Meister mit "einem Auge" beobachtet wird.

Wenn Lehrer von der einengenden Vorgabe befreit werden, den gesamten Arbeitstag ausschließlich mit formalem Unterricht verbringen zu müssen, öffnen sich Räume und Zeiten für künstlerisches Tätigsein. Im Unterschied zu einem Musiker, der nicht im Kontext einer Musikschule agiert, wird das Lernen, Üben und künstlerische Suchen hier jedoch öffentlich gemacht, die Schüler können daran also beobachtend und nachfragend teilhaben. Dieser Gedanke basiert auf der Prämisse, dass man vor allem durch zwei Dinge lernt: erstens, indem man etwas Gelerntes selber vermittelt (sich entsprechend intensiv über das Gelernte Rechenschaft ablegen muss), und zweitens, indem man jemand fortgeschrittenen bei seinem ureigenen und daher bedeutungstragenden Üben und Lernen ausgiebig beobachtet. Wenn drittens noch hinzukommt, dass man als Schüler jederzeit willkommen geheißen wird, an echten musikalischen Projekten des Lehrers gemeinsam mit anderen Schülern aktiv teilzunehmen (mit „echt“ ist hier gemeint, dass die künstlerischen Intentionen des Projektes gegenüber den pädagogischen Absichten überwiegen) wäre die bisher von Musikschulen in ihrer Breite vernachlässigte Lerntrias vollständig: Lernen durch Beobachtung, Lernen durch Unterweisung, Lernen durch Lehren.